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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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einzudämmen. Diesmal stieg das Wasser immer weiter.
    Dienstagmorgen fiel die Pumpe aus. Zur Mittagszeit war auch der Strom im Haus weg.
    Dale kam aus seinem Zimmer nach unten, als seine Mutter rief. Die gigantischen Stufen der Kellertreppe führten in undurchdringliche Schwärze hinab. Seine Mutter stand auf der vorletzten Stufe, ihr Rock war vollgesogen, und sie hatte sich ein Taschentuch um den Kopf gewickelt. Sie sah aus, als wäre sie den Tränen nahe.
    Dale sah fassungslos nach unten. Das Wasser war höher als die erste Stufe gestiegen. Es war mindestens sechzig Zentimeter tief, wahrscheinlich mehr. Es leckte über die Stufe, auf der seine Mutter stand, und war wie ein dunkles Meer.
    »O Dale, es ist zum Verzweifeln...«
    Dale sah sie an. Er glaubte nicht, daß er sie schon einmal so wütend gesehen hatte.
    »Tut mir leid, Liebes, aber ich habe die Pumpe nicht anwerfen können, und es steht schon bis zur Höhe der Waschmaschine, und ich muß in den hinteren Raum und eine neue Sicherung reinschrauben und ... verdammt, ich wünschte, dein Vater wäre hier.«
    »Ich mach' es, Mom.« Dale stellte zu seinem Erstaunen fest, daß er das gesagt hatte. Er haßte den elenden Keller schon unter günstigen Bedingungen.
    Etwas trieb in der Nähe der Stufe. Es hätte sich um ein Gewirr von Staubflusen im Wasser handeln können, aber es sah wie der Rücken einer ertrunkenen Ratte aus.
    »Zieh deine ältesten Jeans an«, sagte seine Mutter. »Und bring deine Pfadfindertaschenlampe mit.«
    Dale ging halb betäubt nach oben und zog sich um. Das Gefühl von Losgelöstheit und Teilnahmslosigkeit, das er seit Duanes Tod empfunden hatte, umgab ihn jetzt wie eine dicke Schicht Isoliermaterial. Er betrachtete seine Hände, als gehörten sie jemand anderem. In den Keller? Im Dunkeln? Er wechselte die Hose, zog sein heiligstes Paar alte Turnschuhe an, krempelte die Hosenbeine hoch, holte die Taschenlampe aus der Rumpelkammer, probierte sie aus und stieg die Treppe hinunter.
    Seine Mutter gab ihm die Sicherung. »Sie ist gleich über dem Trockner hinten im...«
    »Ich weiß, wo sie ist.« Das Wasser war in den vergangenen paar Minuten nicht nennenswert gestiegen, aber es floß dennoch schon über die zweite Stufe. Der kurze Flur zum Heizraum sah wie der dunkle Zugang zu einer überfluteten Gruft aus.
    »Bleib nur nicht im Wasser stehen, wenn du sie einsetzt. Steig auf die Bank neben dem Trockner. Sieh zu, daß deine Hände trocken sind und der Schalter auf >Aus< steht und ...«
    »Ja, Mom.« Er machte den Schritt hinunter, bevor er wirklich die Nerven verlor, die Treppe hinaufrannte und zur Hintertür hinaus floh.
    Das Wasser reichte ihm bis über die Knie und war eiskalt. Seine Zehen schmerzten und verkrampften sich fast auf der Stelle.
    »Das gesamte Abwassersystem ist überlastet...« hörte er seine Mutter sagen, als er den schmalen Flur entlangging und mit der Taschenlampe die Schlackesteinwände anstrahlte. Der Lichtstrahl war schwach; er hätte die Batterien wechseln sollen.
    Die Öffnung zum Kohlenkeller war ein schwarzes Rechteck rechts von ihm, der untere Rand gerade über der Wasseroberfläche. Schwarzes Wasser floß um die Schüttgutluke herum, und dort trieben dunkle Klumpen, die wie Häufchen von Menschenasche aussahen. Kohlen, dachte Dale und hielt den trüben Lichtstrahl auf das Tentakelmonster des Ofens selbst gerichtet.
    Die Wasseroberfläche war noch nicht ganz bis zum Gitter gestiegen. Dale hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn der Ofen mit Wasser vollief.
    Als er rechts von sich ein Geräusch hörte, wirbelte er herum, sprang platschend zur Wand zurück und richtete den Lichtstrahl in den Kohlenkeller.
    Da drinnen war es trocken, aber etwas war auf der anderen Seite, wo das unvollendete Areal anfing, zur Decke gewuselt. Dale sah, wie winzige Lichtfünkchen in der Dunkelheit reflektiert wurden. Nur die Rohre. Nur die Isolierung. Keine Augen. Keine Augen.
    Er ging links um den Ofen herum. Hier schien das Wasser tiefer zu sein, obwohl er wußte, daß das nicht sein konnte. Vielleicht könnte es sein. Vielleicht ist jeder Raum ein
    wenig schief. Vielleicht steht der hintere Raum völlig unter Wasser.
    »Bist du schon dort?« ertönte die Stimme seiner Mutter verzerrt durch Mauern und Wasser und die Krümmung der Wände.
    »Fast«, rief er, obwohl er noch nicht einmal die Hälfte hinter sich hatte.
    In diesem Keller gab es keine Fenster; er war zu nieder. Dales Lichtstrahl huschte über öliges Wasser und konnte

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