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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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nach mehr zu verlangen. Die schwarze Erde wurde noch schwärzer. Fast überall in Amerika kannten Farmer die Faustregel, wonach der Mais am vierten Juli kniehoch sein sollte; in Illinois hatte diese Faustregel stets auf >hüft-hoch< gelautet, aber diesen Sommer stand der Mai am 4. schon fast schulterhoch.
    Der 4. fiel auf einen Montag, und obwohl sich die Erwachsenen über das seltene lange Wochenende zu freuen schienen, wurde ihre Freude doch ein wenig durch den Regen getrübt, wegen dem die Parade und das Feuerwerk abgesagt werden mußten. Elm Haven verfügte nicht über einen Etat für ein städtisches Feuerwerk, aber aufgrund einer hundert Jahre zurückreichenden Tradition brachten die Leute ihre eigenen Wunderkerzen, Ra-' keten und Kracher auf den Schulhof mit. Einige wenige ließen sich auch in diesem Sommer sehen, aber am Abend war Wind aufgekommen, der nächtliche Sturm setzte früh ein und die Feuerwerker gaben ihre Bemühungen auf, als Streichhölzer nicht brannten und Zündschnüre kein Feuer fingen.
    Dale und Lawrence betrachteten die Blitze, welche anstelle des Feuerwerks zuckten, wohlbehalten von der Veranda. Explosionen weißen Lichts liefen am südwestlichen Horizont entlang und zeichneten die Umrisse von Bäumen, Giebeldächern und die wuchtige Masse von Old Central ab. In den dunklen Intervallen zwischen den Blitzen schien die Schule in einem inneren Licht zu leuchten, einer weichen, pilzartigen Phosphoreszenz, die den Schulhof in blaugrünes Leuchten tauchte und einen Dunst statischer Elektrizität um die uralten Ulmen aufzubauen schien, die den Block umgaben. Eine dieser Ulmen explodierte und starb vor ihren Augen am Abend des 4. Juli, aber ob sie von einem Blitz getroffen worden oder einfach vom Wind geknickt worden war, vermochten Dale und Lawrence nicht zu sagen. Der Lärm war selbst aus sechzig Meter Entfernung ohrenbetäubend. Der halbe Baum blieb stehen, ein zerklüfteter, abgebrochener Zahn, während der belaubte, lebende Teil mit einem lauten Krachen auf den Schulhof stürzte.
    Nachdem das Gewitter vorbeigezogen war, gingen Dale und Lawrence hinein. Sie hatten ein paar Kracher von der Veranda geworfen, Wunderkerzen angezündet und Heuler auf den Stufen hochgehen lassen, aber der Wind war kalt, und sie waren eigentlich nicht mit dem Herzen dabei.
    In der Stille nach dem Unwetter wuschsen die Millionen Hektar Mais um die Stadt herum immer höher und bildeten eine dichte grüne Masse, die die Landstraßen zu Korridoren zwischen hohen Mauern machte, den Horizont vor Blicken verbarg und Substanz aus dem Sonnenlicht des nächsten Tages herauszusaugen schien, bis der hellste Fleck der Gegend nicht heller war als die dunklen Schatten unter den Ulmen der Stadt.
    Dales Familie brachte Mr. McBride etwas zu essen. Das hatte die Hälfte aller Familien in der Stadt getan. Dale kam mit, als sie die bekannte aber seltsam unbekannte Landstraße am Friedhof und bei Onkel Henry vorbeifuhren und in die lange Einfahrt einbogen. Hier schien der Mais noch höher als auf den umliegenden Feldern zu sein, die Einfahrt war praktisch ein Tunnel.
    Bei ihren ersten beiden Besuchen machte niemand die Tür auf, obwohl Mr. McBrides Pritschenwagen auf dem Hof parkte. Beim drittenmal machte er die Tür auf, nahm die Pasteten und den Kuchen mit einem gemurmelten Dank entgegen und murmelte noch etwas, als Dales Eltern ihr Beileid aussprachen. Dale hatte Duanes Vater stets älter als alle anderen Eltern eingeschätzt, aber McBrides Aussehen machte ihn betroffen: Die verbliebenen Haarsträhnen schienen in den letzten paar Wochen grau geworden zu sein, die Augen lagen tief in den Höhlen und waren blutunterlaufen, das linke fast geschlossen, wie nach einem Schlaganfall, das Gesicht sah mehr wie das einer zersprungenen und schlecht wieder zusammengeklebten Büste als nach dem eines Mannes mit Falten aus, und die grauen Bartstoppeln verliefen an den Wangen hinab über den Hals bis in das schmutzige Unterhemd.
    Während der langen Fahrt zurück unterhielten sich Dales Eltern mit leisen, traurigen Stimmen miteinander.
    Niemand wußte mit Bestimmtheit, welche Maßnahmen für Duanes Beerdigung oder Gedenkgottesdienst getroffen worden war. Man munkelte in der Stadt, Mr. Taylor hätte den Leichnam einem Bestattungsinstitut in Peoria übergeben - demselben, das auch Onkel Arts Einäscherung übernommen hatte. Man munkelte weiter, der Junge wäre nach einer privaten Gedenkfeier ebenfalls verbrannt worden.
    Niemand wußte, was Mr. McBride

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