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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Riegel am Fliegengitter ist zu. Wie sollte er denn reinkommen?« Er sah Mike an, als würde sein Sohn den Verstand verlieren. »Hat dieser ... dieser Soldat versucht, das Fliegengitter wegzureißen? Das hätte ich gehört!«
    Da das elektrische Licht angeschaltet worden war, machte Mike die Petroleumlampe aus und stellte sie mit zitternden Fingern auf den Tisch. »Nein, er ist durchgekommen ...« Er verstummte, weil ihm selbst klar war, wie unglaubwürdig sich das anhörte.
    Seine Mutter kam zu ihm, strich ihm über die Schulter und legte ihm eine Hand auf die Stirn. »Du bist heiß, Liebes. Du hast Fieber.«
    Mike fühlte sich tatsächlich fiebrig. Das Zimmer schien um ihn herum zu kippen und sich wieder aufzurichten; sein Herz schlug nicht langsamer. Er sah seinen Vater so ruhig er konnte an. »Dad, ich hab' was gehört und bin runtergekommen. Er hat sich... fest gegen das Gitter gelehnt. Es war durchgebogen und kurz vor dem Brechen. Ich schwöre es, ich lüge nicht.«
    Mr. O'Rourke sah seinen Sohn einen Moment lang schweigend an, drehte sich ohne ein Wort um und kam wenig später mit über den Pyjama gezogenen Hosen und Arbeitsstiefeln an zurück. »Bleib hier«, sagte er leise.
    »Dad!« rief Mike und packte ihn am Arm. Er gab ihm den Baseballschläger.
    Mikes Mutter strich Memo über das Haar, scheuchte die Mädchen wieder nach oben und wechselte Memos Kissenbezug, während sie warteten. Draußen war der Schatten einer Bewegung zu sehen. Mike zuckte vom Fenster weg. Sein Vater stand da, hielt eine Taschenlampe in der Hand, und die Unterkante des Fensters reichte ihm fast bis zur Brust. Mike blinzelte; er hatte fast den ganzen Körper des Soldaten gesehen, aber sein Vater war viel größer als der Soldat, den Mike auf der Jubilee College Road gesehen hatte. Wie kam es, daß sein Dad soviel weiter unten zu stehen schien? Konnte der Soldat draußen auf etwas gestanden haben? Das würde erklären, wieso er senkrecht nach unten gesunken war...
    Sein Vater war verschwunden, blieb fünf Minuten weg und kam stampfend zur Küchentür herein. Mike lief ihm in der Diele entgegen.
    Das Pyjamaoberteil und die Hose seines Dad waren durch und durch naß, die Stiefel lehmverschmiert. Sein weniges rotes Haar klebte über den Ohren. Regentropfen glitzerten auf seiner Stirn und der kahlen Stelle. Er packte mit einer großen Pranke zu und zog Mike in die Küche. »Es waren keine Fußabdrücke draußen«, sagte er leise und wollte offenbar nicht, daß Mikes Mutter oder Schwestern mithörten. »Alles ist schlammig, Mike. Es regnet seit Tagen. Aber keine Fußspuren unter dem Fenster. Das Blumenbeet verläuft drei Meter am Haus entlang, aber nirgendwo Fußspuren. Und keine im Hof.«
    Mike spürte seine Augen brennen, wie damals, als er noch klein war und geweint hatte. Seine Brust tat weh. »Ich hab' ihn gesehen«, mehr brachte er mit seiner zugeschnürten Kehle nicht heraus.
    Sein Dad sah ihn lange an. »Und du bist der einzige, der ihn gesehen hat. Vor Memos Fenster. Ist das die einzige Stelle?«
    »Einmal ist er mir auf der County Six und der Jubilee Road gefolgt«, sagte er und wünschte sich auf der Stelle, er hätte es seinem Vater schon früher erzählt und jetzt nichts gesagt.
    Der Blick seines Vaters zog sich in die Länge.
    »Er könnte auf einer Leiter gestanden haben oder so«, brachte Mike heraus und fand selbst, wie verzweifelt sich das anhörte.
    Sein Vater schüttelte langsam den Kopf. »Keine Spuren. Keine Leiter. Nichts.« Er streckte die große Pranke aus und drückte Mike die Handfläche auf die Stirn. »Du bist heiß.«
    Mike spürte das Zittern wieder in sich und erkannte den Beginn einer Grippe. »Aber ich habe mir den Soldaten nicht eingebildet. Ich schwöre es. Ich habe ihn gesehen.«
    Mr. O'Rourke hatte ein breites, freundliches Gesicht, einen kantigen Kiefer, die Überreste von tausend Sommersprossen, die er seinen Kindern vererbt hatte - sehr zum Mißfallen von dreien seiner vier Töchter. Jetzt bebte sein Kiefer etwas, als er nickte. »Ich glaube dir, daß du etwas gesehen hast. Ich glaube aber auch, du wirst krank, weil du ganze Nächte lang aufbleibst, um diesen Spanner zu fangen...«
    Mike wollte protestieren. Es war kein Spanner. Aber er wußte, momentan war es besser, den Mund zu halten.«
    »... geh ins Bett und laß dir von deiner Mutter Fieber messen«, sagte sein Vater. »Ich stell' das Feldbett in Memos Zimmer und schlaf selbst eine Weile dort. Ich habe erst in einer Woche wieder Nachtschicht.«

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