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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Luftbläschen kamen heraus -, das Zahnfleisch war schwarz und so weit von den Zähnen weggefault, daß jeder Backen- und jeder Schneidezahn wie ein gelber Hauer vorstand. Der Leichnam schwebte behäbig dicht unter der Oberfläche, als wäre er schon seit Wochen da und würde immer da sein. Eine Hand trieb so weit an der Oberfläche, daß Dale weiße, wie Albinowürstchen aufgequollene Finger sehen konnte. Sie schienen ansatzweise zu winken, wenn sanfte Strömungen sie erfaßten.
    Da schlug das Tubby-Ding dreißig Zentimeter von Da-les Gesicht entfernt die Augen auf.

22 
    In den drei Wochen des Regens und Halbdunkels lernte Mike, wer und was der Soldat war und wie man ihn bekämpfen konnte.
    Der Tod von Duane McBridge hatte Mike zutiefst betroffen gemacht, auch wenn er sich nicht als enger Freund so wie Dale betrachtet hatte. Nachdem Mike in der vierten Klasse sitzengeblieben war - vor allem weil ihm das Lesen so schwerfiel, weil die Buchstaben der Worte sich zu wahlosen Kombinationen zu verändern schienen, während er sich noch darauf konzentrierte, sie zu entziffern -, nachdem er sitzengeblieben war, war ihm klar geworden, daß er das genaue Gegenteil von Duane McBride war. Duane las und schrieb flüssiger als jeder Erwachsene, den Mike kennengelernt hatte, ausgenommen vielleicht Pater Cavanaugh, wohingegen Mike sich kaum durch die Zeitung beißen konnte, die er jeden Tag austrug. Dieser Unterschied hatte ihn nie gestört -Duane konnte nichts dafür, daß er brillant war. Mike respektierte das mit derselben Gelassenheit, mit der er kräftige Athleten oder geborene Geschichtenerzähler wie Dale Stewart respektierte, doch der Abgrund zwischen den beiden Jungs gleichen Alters war unendlich viel größer als das eine Schuljahr, das sie trennte. Mike hatte Duane McBride um die unendliche Zahl von Türen beneidet, die ihm offenstanden: keine Türen von Privilegien - Mike wußte, daß die McBrides fast ebenso arm waren wie die O'Rour-kes-, sondern Türen des Verstehens und Pforten der Wahrnehmung, die Mike selbst bei den Gesprächen mit Pater Cavanaugh kaum erahnen konnte. Er vermutete, daß Duane in jenen luftigen Gefilden des Denkens zu Hause war und die Stimmen lange toter Menschen hörte, die aus Büchern emporstiegen, so wie er, hatte er selbst einmal gesagt, in seinem Keller spätabends Radiosendungen anhörte.
    Mike hatte ein schreckliches Gefühl... nicht nur des Verlusts, sondern eines Ungleichgewichts. Ihm war, als hätten er und Duane McBride gemeinsam auf einer Wippschaukel gesessen, seit sie als kleine Kinder in Mrs. Blackwoods Kindergarten gewesen waren, und jetzt war das Gegengewicht nicht mehr da und das Gleichgewicht zerstört.
    Nur das dumme Kind war noch da.
    Der Regen hielt den Soldaten nicht fern. Auch nicht das Kratzen unter dem Boden.
    Mike war kein Narr; er erzählte seinem Dad, daß ein unheimlicher Typ das Haus beobachtete. Er erzählte ihm sogar von den Tunnels unter dem Kriechraum.
    Mr. O'Rourke war so dick, daß er nicht unter das Haus paßte, aber er schickte Mike mit einem Seil hinein, um die Tiefe auszuloten, und gab ihm verschiedene vergiftete Köder mit, als hätte sich ein gigantisches Opossum dort eingenistet. Mike kroch mit klopfendem Herzen unter das Haus, aber seine Angst erwies sich als unbegründet. Die Löcher waren nicht mehr da.
    Sein Dad glaubte ihm, was den unheimlichen Mann in der Ar-meeunifom anbetraf - soweit sich beide zurückerinnern konnten, hatte Mike ihn noch nie belogen -, aber er glaubte, daß es ein Halbstarker war, der einem der Mädchen nachstellte. Was konnte Mike darauf erwidern - daß es sich um etwas anderes handelte, das Memo wollte? Vielleicht war er ja ein Soldat, den Peg oder Mary in Peoria kennengelernt hatten und der ihnen nun nachstellte. Die älteren Mädchen bestritten es - sie kannten keine Soldaten, abgesehen von Buzz Whittaker, der sich vor acht Monaten zur Armee gemeldet hatte. Aber Buzz Whittaker war in Kaiserslautern in Deutschland stationiert, wie seine Mutter jedem stolz erzählte und dazu seine Analphabetenbriefe und gelegentlichen Ansichtskarten herumzeigte.
    Es war nicht Buzz Whittaker. Mike kannte Buzz, und der Soldat hatte nicht sein Gesicht. Strenggenommen hatte er überhaupt kein Gesicht.
    Am späten Abend des Vierten hatte Mike ein Geräusch gehört -eigentlich mehr gespürt - und war mit dem Schläger in der Hand die Treppe hinuntergeeilt, wobei er halb damit gerechnet hatte, Memo in ihrer Embryonalhaltung auf dem Bett vorzufinden,

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