Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
stellte sich vor, wie der etepetete Arzt seiner etepeteten Frau und dem Kind erzählte, was für eine Schweinerei er gesehen hatte. Wahrscheinlich würde er nach Hause gehen, Michelle wecken und ihr befehlen, sich von diesem Schlamper Harlen fernzuhalten. Sie hat Jimmy gesagt.
    »Fehlt etwas?« fragte Barney vom Flur, als Harlen ins Zimmer seiner Ma und dann in seines sah. Gottverdammt, wenigstens sie hätte ihr Bett machen und die verfluchten vollgerotzten Kleenex und Zeitschriften wegräumen können...
    »Nn-nnn«, sagte er und merkte selbst, wie albern er sich anhörte. Er stellte sich vor, wie der gutgekleidete Dr. S. seiner Frau und Michelle am nächsten Morgen beim Frühstück sagte: Der Junge ist nicht nur ein Schlamper, sondern auch durch und durch verblödet. »Ich glaube nicht«, fügte er hinzu. Und dann, mit regelrecht verzweifelter Stimme: »Haben Sie in den Schränken nachgesehen?«
    »Als allererstes«, sagte Barney. »Aber wir sehen noch mal gemeinsam nach.«
    Harlen hielt sich im Hintergrund, während der Doktor und Barney in die Schränke sahen. Sie spielen meinetwegen mit. Und wenn sie fort sind, wird dieser verweste Leichnam von irgendwo auftauchen und mir das Herz rausbeißen.
    Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Barney: »Ich bleibe hier, bis deine Mom nach Hause kommt, Junge.«
    »Ich auch«, sagte der Doktor. Er wechselte einen Blick mit dem Polizisten. »Jim, hast du eine Ahnung, wann sie zurückkommen könnte?«
    »Nn-nnn.« Harlen biß sich auf die Unterlippe. Wenn er diese beiden Silben noch ein einziges Mal grunzte, würde er den alten Revolver seines Dad holen und sich vor den Augen dieser beiden das Gehirn rauspusten. Die Waffe. Hat Dad sie nicht Ma gelassen, damit sie sich schützen kann? Sein Denkapparat setzte sich in Bewegung.
    »Zieh den Schlafanzug an, Junge«, sagte der Constable. Harlen hätte sich nicht an den richtigen Namen des Mannes erinnern können, wenn sein Leben davon abgehangen hätte. »Habt ihr Kaffee?«
    »Ja«, sagte Harlen. Fast hätte er Nn-nnn gesagt. »Auf der Theke. In der Küche. Unten.« Depp, wir sind alle eben erst durch die Küche gegangen.
    »Mach dich fertig fürs Bett«, sagte der Constable noch einmal. Er ging mit dem Arzt nach unten.
    Es war ein kleines Haus. Er konnte sie ohne Probleme hören. Er und seine Ma konnten keinen Furz lassen, ohne daß der andere es hörte; manchmal fragte sich Harlen, ob sein Dad deshalb mit der Schlampe abgehauen war. Aber heute war das Haus nicht klein genug. E r ging hinaus auf den schmalen Treppenabsatz.
    »Haben Sie unter den Betten nachgesehen... Sir?« rief er nach unten.
    Barney kam zur Treppe. »Aber gewiß doch. Und in den Ecken. Niemand ist da oben. Niemand ist hier unten. Der Doc hat sich gerade im Garten umgesehen. Ich überprüfe gleich die Garage. Ihr habt keinen Keller, Junge, oder?«
    »Nn-nnn«, sagte Harlen. Verdammt*.
    Barney nickte und ging wieder in die Küche. Harlen hörte Michelles Dad etwas über das Gesundheitsamt sagen.
    Harlen trat ein, ohne die Tür zuzumachen, kickte die Tennisschuhe in die Ecke, warf die Socken auf den Boden, wand sich aus Jeans und T-Shirt. Dann bückte er sich, hob Socken und Jeans auf und warf sie in den Schrank, ohne ihm zu nahe zu kommen. Sie stand genau da drüben. Am Fenster. Sie ist hin und her gegangen.
    Er setzte sich auf die Bettkante. Der Wecker zeigte 10.48 Uhr. Früh. Die beiden Jungs würden noch vier bis fünf Stunden hier sein, wenn es eine typische Samstagnacht war. Würden sie wirklich bleiben? Wenn nicht, würde Harlen hinter dem Auto des Constable herlaufen. Auf gar keinen Fall würde er heute nacht alleine hier bleiben.
    Verflixt und zugenäht, wo hat sie die Waffe? Es war keine große Waffe, aber sie war aus blauem Stahl und sah tödlich aus. Eine blauweiße Schachtel Munition war auch noch da gewesen. Sein Dad hatte ihm befohlen, Waffe und Munition niemals anzurühren; beides war in Dads Schublade gewesen, aber Ma hatte sie versteckt, als er mit der Schlampe abgehauen war. Wo? Wahrscheinlich illegal. Barney würde sie finden und sie beide ins Gefängnis werfen.
    Die Hintertür schlug zu. Harlen zog gerade die Pyjamajacke an und zuckte bei dem Geräusch zusammen. Er hörte ihre Stimmen.
    Schritte waren zu hören, dann drang Barneys Stimme viel lauter die Treppe herauf. »>Möchtest du eine heiße Schokolade, bevor du dich hinlegst, Junge?«
    Harlens Magen blubberte, weil Mrs. Staffney ihm schätzungsweise fünf Liter von dem Zeug

Weitere Kostenlose Bücher