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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Ellbogen seines Gipses auf die Klingel preßte.
    Die Tür wurde aufgerissen. Michelle Staffney stand im Nachthemd da, das Licht hinter ihr schien durch den leichten Stoff und erzeugte einen Heiligenschein um ihr rotes Haar. Normalerweise hätte Jim Harlen verweilt, um den Anblick zu genießen, aber jetzt drängte er sich an ihr vorbei in die hell erleuchtete Diele.
    »Jimmy, was machst du denn... he!« brachte die Rothaarige heraus, bevor er sich an ihr vorbeigedrängt hatte. Sie machte die Tür zu und sah ihn finster an.
    Harlen blieb unter dem Lüster stehen und sah sich um. Er war nur dreimal in Michelles Haus gewesen - einmal pro Jahr zu ihrer Geburtstagsparty am 14. Juli, die für sie und ihre Eltern so wichtig zu sein schien -, aber er konnte sich an die großen Zimmer, hohen Decken und gewaltigen Fenster erinnern. Viel zu viele Fenster. Harlen fragte sich, ob sie eine Toilette ohne Fenster aber mit vielen kräftigen Schlössern im Erdgeschoß hatten, als Dr. Staffney die Treppe herunterkam. »Können wir helfen, junger Mann?«
    Harlen setzte sein bestes Hilfloser-Junge-vor-dem-Weinkrampf-Gesicht auf, wozu er sich nicht besonders verstellen mußte, wie er innewurde, und schluchzte: »Meine Mom ist ausgegangen, und es dürfte niemand daheim sein, aber als ich von der Gratisvorstellung heimgekommen bin - die wegen Regen ausgefallen ist -, war eine seltsame Frau im ersten Stock, in meinem Zimmer. Leute haben mich verfolgt, und ein Laster war hinter mir her, und ich habe mir gedacht... könnten Sie mir helfen? Bitte?«
    Michelle Staffney sah ihn mit ihren hübschen blauen Augen und schiefgelegtem Kopf an, als wäre er hereingekommen und hätte auf ihren Teppich gepinkelt. Dr. Staffney stand in Anzughose, Weste und Krawatte und allem da; er sah Harlen an, zog die Brille auf, zog sie wieder ab und kam die Treppe herunter.
    »Sag das noch mal«, sagte er.
    Harlen sagte es noch einmal und erwähnte nur die Höhepunkte. Eine fremde Frau war in seinem Zimmer. Er erwähnte nicht, daß sie tot war und trotzdem herumlief. Ein Mann in einem Laster hatte ihn verfolgt. Vorerst unwichtig, daß es der Abdeckereilaster gewesen war. Seine Mutter war in einer wichtigen Sache nach Peoria gegangen. Wahrscheinlich zum Vögeln, aber das mußte man ihnen ja jetzt nicht unbedingt sagen. Er hatte Angst. Ohne Scheiß.
    Mrs. Staffney kam aus dem Eßzimmer. Harlen hatte von C. J. Congden oder Archie Kreck oder einem dieser Typen gehört, wenn man wissen wollte, wie ein Mädchen in ein paar Jahren aussah - Euter und so -, mußte man nur ihre Mom ansehen. Michelle Staffney konnte sich noch auf eine Menge freuen.
    Michelles Mutter machte ein Aufhebens um Harlen -sie sagte, sie könnte sich von den Geburtstagspartys an ihn erinnern, aber Harlen wußte, es waren zu viele Kinder anwesend gewesen, und er war nur eingeladen worden, weil alle aus der Klasse es waren -und bestand darauf, daß er auf eine Tasse Kakao in die Küche mitkam, während Dr. Staffney den Constable anrief.
    Der Doktor sah ein wenig verwirrt drein, wenn nicht regelrecht skeptisch, aber er sah zur Tür hinaus - der Laster war logischerweise nicht zu sehen, Harlen spähte hinter Staffney raus -, dann ging er zum Telefon und rief Barney an. Mrs. Staffney bestand darauf, daß sämtliche Türen abgeschlossen wurden, während sie auf ihn warteten. Das war ganz in Harlens Sinne; es hätte ihm auch nichts ausgemacht, die Läden der vielen großen Fenster zuzumachen, aber so reich diese Leute waren, sie hatten keine Klimaanlage in dem riesengroßen Haus, und wenn die Fenster nicht offen waren, würde es wahrscheinlich ziemlich schnell ziemlich heiß werden. Harlen begnügte sich damit, sich sicher zu fühlen, während sich Mrs. S. in der Küche zu schaffen machte und die Reste eines Gulaschs für ihn wärmte - er hatte gesagt, er hätte noch nichts gegessen, obwohl er die Spaghetti gewärmt hatte, die Ma ihm in einer Tupperschüssel hingestellt hatte -, während Dr. S. ihn zum schätzungsweise viertenmal befragte und während Michelle ihn mit einem Blick ihrer großen Augen ansah, der alles bedeuten konnte, von Heldenverehrung angesichts seiner tapferen Flucht bis hin zu reinster Verachtung darüber, was er für ein dämliches Arschloch war.
    Was Harlen momentan eigentlich ziemlich einerlei war.
    Die alte Dame in seinem Zimmer. Ihr Gesicht am Fenster, wo es heruntersah. Zuerst hatte er gedacht, es wäre Old Double-Butt, aber dann hatte ihm etwas gesagt, daß es Mrs. Duggan war. Die

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