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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Barney, er hätte noch nie gesehen, wie ein tollwütiger Hund mit einem Besen getötet worden sei - schon gar kein tollwütiger Hund -, aber Mrs. Houlihan hätte das Monster fast enthauptet.
    Genau dieses Wort hatte Barney benützt - Monster. Danach hatte Mike gewußt, welche Monster auch immer durch die Nacht schleichen mochten, Memo war mehr als geeignet, kurzen Prozeß mit ihnen zu machen.
    Doch dann, kein Jahr später, hatte Memo ihr Fett bekommen. Der erste Schlaganfall war schlimm gewesen - er hatte sie gelähmt und die Nervenleitungen zu den Muskeln des immer so beweglichen Gesichts durchgeschnitten. Dr. Viskes hatte gesagt, es wäre eine Frage von Wochen, vielleicht Tagen. Aber Memo hatte den Sommer überlebt. Mike erinnerte sich noch, wie seltsam es gewesen war, daß der Salon - das Zentrum von Memos unerschöpflichen Aktivitäten -in ein Krankenzimmer für sie umgewandelt worden war. Er hatte mit dem Rest der Familie auf das Ende gewartet.
    Sie hatte den Sommer überlebt. Im Herbst teilte sie ihre Bedürfnisse mit einem Code von Blinzeln mit. An Weihnachten konnte sie wieder sprechen, auch wenn nur die Familienangehören die Worte verstanden. An Ostern hatte sie den Kampf mit ihrem Körper so weit gewonnen, daß sie die rechte Hand bewegen und sich im Wohnzimmer aufrecht setzen konnte. Drei Tage nach Ostern hatte sie den zweiten Schlaganfall. Einen Monat später den dritten.
    In den vergangenen anderthalb Jahren war Memo weniger mehr als ein atmender Leichnam im Salon gewesen, Gesicht gelb und schlaff, die Handgelenke verkrümmt wie die Klauen eines toten Vogels. Sie konnte sich nicht bewegen, hatte keine Kontrolle über ihre Körperfunktionen und konnte außer durch das Blinzeln keine Verbindung mit der Welt halten. Aber sie lebte weiter.
    Mike ging in den Salon, als es draußen so richtig dunkel wurde. Er zündete die Petroleumlampe an - ihr Haus war an den Strom angeschlossen, aber Memo hatte in ihrem Zimmer oben stets lieber Öllampen gehabt, und diese Tradition hatten sie fortgesetzt - und ging zu dem hohen Bett, wo sie lag.
    Sie lag auf der rechten Seite, ihm zugewandt, wie immer, außer wenn sie sie jeden Tag behutsam umdrehten, um die unvermeidlichen wundgelegenen Stellen zu verringern. Ihr Gesicht war von einem Labyrinth von Falten durchzogen, die Haut sah gelb und wächsern aus - nicht menschlich. Die Augen sahen ins Leere, waren schwarz und irgendwie aufgequollen, als würden sie unter einem schrecklichen inneren Druck stehen oder der schieren Frustration, die Gedanken nicht übermitteln zu können, die sich dahinter abspielten. Sie sabberte; Mike nahm ein sauberes Handtuch vom Stapel am Fußende des Betts und wischte ihr sanft den Mund ab.
    Er vergewisserte sich, daß er ihr die Unterwäsche nicht wechseln mußte - eigentlich sollte er seinen Schwestern nicht bei dieser Tätigkeit helfen, aber er paßte mehr als sie alle zusammengenommen auf Memo auf, daher waren die Bedürfnisse von Eingeweiden und Blase seiner Großmutter kein Geheimnis -, stellte fest, daß sie trocken war, setzte sich auf den Stuhl und hielt ihre Hand.
    »War ein schöner Tag draußen, Memo«, flüsterte er. Er wußte nicht, warum er in ihrer Gegenwart flüsterte, aber ihm war aufgefallen, daß es die anderen auch machten. Sogar seine Mutter. »So richtig wie im Sommer.«
    Mike sah sich in dem Zimmer um. Dicke Vorhänge vor den Fenstern. Tischchen voll Medizinfläschchen, auf anderen Flächen Daguerroty-pien und braune Fotos ihres Lebens, als sie noch >gelebt< hatte. Wie lange war es her, seit sie zum letztenmal die Augen zu einem dieser Fotos richten konnte?
    In der Ecke stand ein alter Victrola, Mike legte eine ihrer Lieblingsplatten auf - Caruso sang aus dem Barbier von Sevilla. Die hohe Stimme und noch höheren Kratzer ertönten durch das Zimmer. Memo reagierte nicht - zuckte und blinzelte nicht einmal -, aber Mike dachte, daß sie immer noch hören konnte. Er wischte Speichel von ihrem Kinn und den Mundwinkeln, machte es ihr auf dem Kissen bequemer, setzte sich wieder auf den Stuhl und hielt ihre Hand. Sie fühlte sich wie etwas Trockenes und Totes an. Memo hatte Mike >Die Affenpfote< an Halloween vorgelesen, als er noch klein war, und ihm solche Angst gemacht, daß er sechs Monate lang nachts das Licht anlassen mußte.
    Was würde passieren, fragte er sich, wenn ich mir etwas auf Me-mos Hand wünschen würde? Mike schüttelte den Kopf, verdrängte den garstigen Gedanken und betete ein Ave Maria als Buße.
    »Mom und

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