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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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manchmal, daß nie ein Mädchen einen so unpassenden Namen bekommen hatte. Alle anderen Kinder der O'Rourkes - sogar Mike - hatten wunderschöne Augen und eine irische Anmut der Gesichtszüge geerbt, Bonnie dagegen war übergewichtig, hatte stumpfe braune Augen und noch stumpferes braunes Haar, eine teigige Gesichtshaut, die von ersten Ansätzen von Akne verwüstet wurde, und ein bitteres Verhalten, das die schlimmste Seite ihrer Mutter spiegelte, wenn sie nüchtern war, und die Verbitterung ihres Vaters, wenn er betrunken war. Bonnie war in das Zimmer gestapft, das sie mit der siebenjährigen Kathleen teilte, hatte das jüngere Mädchen prompt ausgesperrt und weigerte sich auch, die Tür aufzumachen, als Kathleen in Tränen ausbrach.
    Kathleen war das hübscheste Mädchen der O'Rourkes - rothaarig, blauäugig mit einer rosa Haut voll Sommersprossen und einem verblüffenden Lächeln, bei dem Mikes Dad Geschichten von Dorfschönheiten in einem Irland erzählte, das er nie gesehen hatte. Kath-leen war wunderschön. Außerdem war sie leicht zurückgeblieben und mit sieben immer noch im Kindergarten. Wenn Mike Kathleen manchmal sah, wie sie sich bemühte, selbst die einfachsten Sachen zu begreifen, mußte er immer auf den Abort hinausgehen und in der Einsamkeit Tränen unterdrücken. Jeden Morgen, wenn er Pater Cavanaugh bei der Messe half, sprach er ein stummes Gebet, daß Gott in Ordnung bringen würde, was mit seiner jüngeren Schwester nicht stimmte. Aber bis jetzt hatte Er das nicht getan, und Kathleens Behinderung wurde zunehmend offensichtlicher, als ihre Altersgenossen die Rätsel von Arithmetik und Lesen knackten und das bestürzte Kind weiter und weiter hinter sich zurückließen.
    Mike beruhigte Kathleen, kochte Stew zum Abendessen, brachte sie in Marys Bett unter dem niederen Erker und kümmerte sich um Memo.
    Mike war neun gewesen, als Memo ihren ersten Schlaganfall hatte. Er erinnerte sich noch gut an das Chaos im Haushalt, als die alte Frau nicht mehr der verbale Mittelpunkt in der Küche war, sondern plötzlich zur Sterbenden im Salon wurde. Memo war die Mutter seiner Mutter, und Mike kannte das Wort Matriarchin zwar nicht, kannte aber die praktische Definition: die alte Frau in der getupften Schürze, die immer in der Küche war oder in ihrem Zimmer nähte, die Probleme löste und Entscheidungen traf, die Stimme von Mary Margaret Houlihan mit dem ausgeprägten irischen Akzent, die singend durch das Lüftungsgitter von Mikes Zimmer heraufdrang, wenn sie seine Mutter während einer ihrer zynischen Depressionen aufmunterte oder seinen Vater schimpfte, weil er wieder einen ganzen Abend lang mit seinen Freunden getrunken hatte. Memo hatte die Familie finanziell gerettet, als John O'Rourke ein Jahr lang nicht bei Pabst arbeiten konnte, als Mike sechs war - er erinnerte sich noch, wie er die langen Diskussionen am Küchentisch mitgehört hatte, wo sein Vater protestierte, es wären die Ersparnisse ihres Lebens, und Memo darauf bestand -, und Memo hatte Mike und Kath-leen das Leben gerettet, als er acht und Kathleen vier gewesen war und der tollwütige Hund die Depot Street entlanggekommen war. Mike war etwas Seltsames an dem Tier aufgefallen, und er war weggeblieben und hatte Kathleen gesagt, sie solle nicht näher rangehen. Aber seine Schwester liebte Hunde und konnte nicht begreifen, daß ihr einer weh tun konnte; sie war auf das knurrende Tier zugelaufen, das Schaum vor dem Maul hatte. Kathleen war auf Armeslänge dort, der Hund richtete die verklebten Augen auf sie und machte sich zum Sprung bereit, und Mike konnte nur mit einer hohen, schrillen Stimme schreien, die sich ganz und gar nicht nach seiner eigenen anhörte.
    Da war Memo mit wehender getupfter Schürze und einem Besen in der Hand herausgekommen, und ihr graues Haar hing lose unter dem Kopftuch hervor. Sie hatte Kathleen mit einem Arm hochgerissen und mit dem Besen so fest zugestoßen, daß der Hund von allen vieren gerissen und mitten auf die Straße geschleudert wurde. Memo hatte Kathleen in Mikes Richtung geschubst, ihm mit einer leisen Stimme, die dennoch keinen Widerstand duldete, den Befehl gegeben, sie ins Haus zu bringen, dann hatte sie sich umgedreht, als der Hund gerade wieder auf die Beine kam und zum Sprung ansetzte. Mike hatte beim Laufen über die Schulter gesehen und würde niemals den Anblick vergessen, wie Memo dastand, die Beine gespreizt und das Kopftuch um den Hals geschlungen ... wartete, wartete ... Später sagte Constable

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