Sommer der Nacht
Schlauberger unter den Jungs zu sprechen - die hatten manchmal abgefahrene Vorstellungen -, aber Pater C. hatte gelebt. Er kannte sich nicht nur in den Mysterien des Lateinischen und der Kirche aus, sondern auch in der harten, zynischen Seite des Lebens in Chicago, was Mike sich nie hätte träumen lassen.
Die Schatten der Bäume reichten schon über das Grasufer und einen Teil des Teichs, als Pater C. auf die Uhr sah und ausrief: »Herrje, Michael, sieh mal, wie spät es ist. Mrs. McCafferty wird sich Sorgen machen.« Mrs. McCafferty war die Haushälterin der Pfarrei. Sie hatte sich um Pater Harrison gekümmert wie eine Schwester, die einen vom Wege abgekommenen Bruder vor Schaden bewahren möchte; sie verhätschelte Pater C., als wäre er ihr eigener Sohn.
Sie verstauten die Ausrüstung und fuhren in die Stadt zurück. Als sie auf der County Six nach Süden fuhren und eine Staubwolke hinter dem Papstmobil auf der Schotterstraße aufwirbelten, sah Mike flüchtig Duane McBrides Haus zur Linken, bevor sie den ersten steilen Hügel hinab- und dann am Friedhof Calvary vorbei wieder hinauffuhren. Mike sah den Friedhof einsam und golden im Abendlicht, stellte fest, daß keine Autos auf dem Grasplatz entlang der Straße standen, und plötzlich fiel ihm wieder ein, daß er heute Van Syke hätte beobachten sollen. Er bat Pater C. anzuhalten, worauf der Priester das Papstmobil auf dem Grasstreifen zwischen der Straße und dem schwarzen schmiedeeisernen Zaun zum Stillstand brachte.
»Was ist denn?« fragte Pater C.
Mike dachte schnell nach. »Ich ... äh ... ich habe Memo versprochen, ich würde heute nach Großvaters Grab sehen. Sie wissen schon, ob das Gras gemäht ist und die Blumen noch da sind, die wir letzte Woche hergebracht haben. Sie wissen schon, solche Sachen.« Wieder eine Lüge für die Beichte.
»Ich warte auf dich«, sagte der Priester.
Mike errötete und sah zum Friedhof, damit Pater C. das Erröten nicht sehen sollte. Er hoffte, der Priester würde die Lüge nicht aus seiner Stimme heraushören. »Äh ... ich würde lieber eine Weile allein sein. Ich möchte beten.«
Großer Gott, Mike, das ist echt logisch. Du möchtest beten, also sagst du dem Priester, er soll in den Wind schießen. Ist es eine Todsünde, wegen dem Beten zu lügen? »Außerdem muß ich vielleicht Blumen im Wald pflücken, und das könnte eine Weile dauern.« Pater Cavanaugh sah nach Westen über die Straße zur Sonne, die wie ein roter Ballon über den Maisfeldern hing. »Es ist fast dunkel, Michael.«
»Ich bin zu Hause, bevor es dunkel ist. Ehrlich.«
»Aber bis zur Stadt ist es mindestens eine Meile.« Der Priester hörte sich zweifelnd an, als würde er einen Schabernack vermuten, sich aber nicht erklären konnte, wie er aussehen mochte.
»Kein Problem, Pater. Wir Jungs legen die andauernd zurück. Wir spielen oft hier draußen im Wald.«
»Du gehst doch nicht in den Wald, wenn es dunkel ist?«
»Nee«, sagte Mike. »Ich tue nur, was ich Memo versprochen habe, dann gehe ich nach Hause. Ich gehe gern spazieren.« Er dachte: Könnte Pater C. Angst vor der Dunkelheit haben? Er verwarf den Gedanken. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob er nicht lügen und dem Priester von ihrer Vermutung erzählen sollte, daß etwas mit Old Central nicht stimmte - das etwas mit dem Verschwinden von Tubby Cooke zu tun hatte - und daß er im Werkzeugschuppen hinter dem Friedhof nachsehen wollte, wo Van Syke angeblich manchmal schlief. Auch diesen Gedanken verwarf er - Pater Cavanaugh sollte ihn nicht für verrückt halten.
»Sicher?« sagte Pater C. »Deine Eltern werden denken, du bist bei mir.«
»Sie wissen, daß ich es Memo versprochen habe«, sagte Mike, dem das Lügen jetzt leichter fiel. »Ich bin daheim, bevor es dunkel wird.«
Pater Cavanaugh nickte, beugte sich herüber und machte Mike die Tür auf. »Na gut, Michael. Danke für deine Hilfe beim Angeln und die nette Unterhaltung. Morgen zur Frühmesse?«
Es war eine rhetorische Frage. Mike half bei jeder Frühmesse. »Klar, morgen«, sagte er, schlug die schwere Tür zu, beugte sich vor und sprach durchs offene Fenster. »Danke ...« Er verstummte, weil er nicht wußte, wofür er dem Priester danken wollte. Weil er ein Erwachsener war, der mit ihm redete? »Danke, daß Sie mir die Angelrute geliehen haben.«
»Gern geschehen«, sagte Pater C. »Nächstes Mal fahren wir zum Spoon River, wo es richtige Fische gibt.« Er salutierte mit zwei Fingern, fuhr mit dem Papstmobil an und
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