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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Musiklehrer, den sie nicht leiden konnte - Mr. Aleo aus Chicago-, und so schrieb Cordie ihm einen Brief, in dem stand, sie würde ihre Hunde auf ihn hetzen, damit sie ihm Arme und Beine und was anderes aufrissen. Sie hatte der Klasse den Brief auf dem Schulhof vorgelesen, bevor sie ihn ihm gegeben hatte.
    Wahrscheinlich war sie wegen dem >was anderes<, das abgerissen werden sollte, von der Schule suspendiert worden. Mr. Aleo gab Elm Haven auf und ließ sich noch vor Ende des Schuljahrs nach Evansville zurückversetzen.
    Cordie war echt verrückt. Wenn sie Dale gesehen hatte, konnte es durchaus sein, daß sie ihn mordlüstern verfolgte.
    Dale duckte sich ins Unkraut, versuchte nicht zu atmen, versuchte nicht einmal zu denken, da er die Theorie hatte, daß verrückte Menschen telepathisch begabt waren.
    Cordie sah weder nach rechts noch nach links, während sie durch den Wald stapfte, etwa fünfzig Meter südlich von der Stelle, wo Dale heruntergesprungen war, auf die Böschung kletterte, und Richtung Stadt ging. Das Gewehr war größer als sie; sie trug es über der Schulter wie ein Liliputanersoldat.
    Dale wartete, bis sie nicht mehr zu sehen war, dann folgte er ihr langsam und darauf bedacht, sich nicht sehen zu lassen. Sie waren halb in der Stadt, zwischen der Talgfabrik und dem aufgegebenen Getreidesilo, und Cordie war immer noch ein paar hundert Schritte voraus - ohne nach hinten zu sehen, ohne nach rechts oder links zu sehen, so schritt sie wie ein Aufziehspielzeug in einem schmuddeligen grauen Kleid von einer Schwelle zur nächsten, als er plötzlich um eine Kurve kam - und sie verschwunden war.
    Dale zögerte, suchte die Schienen und den Waldrand mit dem Fernglas ab und hob vorsichtig den Kopf, um nachzusehen, ob sie auf der Ostseite der Schienen in den Wald gegangen war.
    Da sagte eine vertraute Stimme hinter ihm: »He, das ist ja der elende kleine Stewart. Hast du dich verlaufen, du Pisser?«
    Dale, der noch das Fernglas seines Dads hielt, drehte sich langsam um.
    C. J. und Archie standen beide zehn Schritte hinter ihm. Er hatte so sehr darauf geachtet, daß Cordie ihn nicht sah, daß er sich nicht um seine Rückendeckung gekümmert hatte.
    Archie hatte kein Hemd an und ein rotes Tuch um die Stirn gebunden. Fettiges Haar ragte darüber empor. Sein Gesicht war gerötet, das Glasauge glänzte in der Morgensonne. C. J. hatte einen Fuß auf der Schiene, den anderen Stiefel auf einer Schwelle. Die Haltung erinnerte Dale an einen pickligen weißen Großwildjäger auf Safari. Das Bild stimmte bis hin zu der Flinte, die C. J. in der Armbeuge hielt.
    Jesus Christus, dachte Dale. Seine Beine waren plötzlich so schwach, daß er nicht glaubte, er könnte weglaufen, selbst wenn sich ihm die Möglichkeit dazu bieten sollte. Was ist denn heute bloß los, nationaler Schußwaffentag? Er stellte sich vor, daß er das laut sagte, so dumm es sich anhörte. Er stellte sich vor, wie C J. und Archie lachten, einer ihm vielleicht auf die Schulter klopfte, worauf sie sich umdrehten und zur Müllhalde gingen, um Ratten zu schießen.
    »Verdammt, warum lachst du, Pisser?« fauchte C. J. Congden, der einzige Sohn von Elm Havens Friedensrichter.
    Er hob das Gewehr und richtete es aus einer Entfernung von zehn Schritt direkt in Dales Gesicht. Es klickte, als die Waffe entsichert oder möglicherweise der Hahn gespannt wurde.
    Dale versuchte, die Augen zuzumachen, aber nicht einmal das gelang ihm. Er merkte, daß er das Fernglas abschirmte, damit die Kugel es nicht beschädigte, wenn sie ihm durch die Brust ging. Er spürte den Drang, sich hinter etwas zu verstecken, so stark wie den Drang zu urinieren, wenn man es gar nicht mehr aushalten konnte ... aber er hätte sich nur hinter sich selbst verstecken kön- Dales rechtes Bein fing leicht an zu zittern. Sein Herz schlug so schnell, es schien sein Gehör zu beeinträchtigen; C. J. sagte etwas, aber er verstand keinen Laut.
    Congden kam zwei Schritte näher und drückte die Mündung an Dales Hals.
    Duane McBride hatte keine Schwierigkeiten, Jim Harlens Zimmer zu finden. Es war ein Zweibettzimmer, aber der Vorhang war zurückgezogen und das zweite Bett war leer. Helles Junilicht fiel zum Fenster herein und zeichnete ein weißes Rechteck auf den Fliesenboden.
    Harlen schlief. Duane sah in den verlassenen Flur und zog die Tür zu, als das Quietschen von Schuhen einer Schwester sich der Ecke näherte.
    Duane kam näher und zögerte. Er war nicht sicher, was er erwartet hatte - möglicherwiese

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