Sommer der Nacht
nie.
Das jedenfalls hofften die Jungs im Lager Drei inbrünstig.
Von weit oben am Weg ertönten Rufe.
»Sie haben Kev«, flüsterte Lawrence. Dale nickte und mahnte seinen Bruder wieder zu schweigen.
Die Geräusche von Stiefeln und Turnschuhen entfernten sich bergauf. Weitere Rufe ertönten. Mike setzte sich auf und strich Gras und Disteln von seinem gestreiften Polohemd.
»Glaubst du, Kev wird uns verraten?« fragte Dale.
Mike grinste. »Nicht Lager Drei. Er zeigt ihnen vielleicht Lager Fünf oder die Höhle. Aber niemals Lager Drei.«
»Sie wissen seit letztem Sommer schon, wo Lager Fünf ist«, sagte Lawrence, der endlich flüsterte, wo es nicht mehr nötig war. »Und die Höhle benützen wir nicht mehr.«
Mike grinste nur.
Sie lagen noch eine halbe Stunde dort und waren müde vom stundenlangen Laufen durch den Wald und der Erschöpfung nach dem Adrenalinstoß der Verfolgung. Sie verglichen ähnliche knappe Situationen, machten sich Gedanken über Kevins Schicksal - er würde Gefangener sein, wenn er sich nicht >zu ihnen< gesellte und bei der Jagd mithalf - und kramten Eßbares aus den Taschen. Keiner hatte richtige Rationen mitgebracht, aber Mike hatte einen Apfel in der Hosentasche, Dale einen Hershey-Riegel mit Mandeln, der mehrmals geschmolzen und plattgesessen worden war, und Lawrence hatte eine Pez-Box, in der sich noch ein paar Bonbons befanden. Sie verschlangen ihre Mahlzeit heißhungrig, dann betrachteten sie liegend die winzigen Flecke Sonnenschein am Himmel, die durch das fast solide Dach der Zweige zu sehen waren.
Sie beratschlagten gerade, ob sie weiterziehen und einen Dreckklumpenhinterhalt beim Steinbruch legen sollten, als Mike plötzlich sagte: »Pssst!« Er deutete bergauf.
Dale legte sich auf den Bauch, drückte das Gesicht gegen die Stämme der Sträucher und versuchte, einen der wenigen Winkel zu erwischen, die ihm Einblick auf den Weg gewähren würden.
Da draußen waren Stiefel. Männerstiefel,, braun und groß. Einen Augenblick lang dachte Dale, der Bursche würde schmutzige Bandagen tragen, aber dann wurde ihm klar, es waren die Gamaschen, die Soldaten laut Duane früher getragen hatten. Wie hatte Duane sie genannt? Wickelgamaschen. Ein Mann stand sechs Schritte vom Lager Drei entfernt, der derbe Stiefel und Wickelgamaschen trug. Dale konnte gerade noch braunen Hosenstoff erkennen, der sich über den braunen Bandagen bauschte.
»Was ...«, flüsterte Lawrence und verdrehte den Hals, um zu sehen.
Dale drehte sich um und legte seinem Bruder eine Hand auf den Mund. Lawrence kämpfte sich frei und knuffte ihn, blieb aber zur Abwechslung einmal still.
Als Dale wieder hinsah, waren die Stiefel fort. Mike klopfte ihm auf die Schulter und nickte zur Ostwand des Kreises.
Schritte zermalmten Blätter und Zweige direkt vor dem geheimen Eingang.
Duane fand mehr über die Borgias heraus, als er eigentlich wissen wollte.
Er überflog und las quer, wie er es häufig machte, wenn er versuchte, die größtmögliche Informationsmenge in der kürzestmöglichen Zeit in den Kopf zu bekommen. Es war ein seltsames Gefühl; Duane verglich es mit dem Effekt, wenn eines seiner selbstgebauten Kristallradios nicht richtig eingestellt war und mehrere Sender auf einmal hereinkamen. Diese Art des schnellen Lernens machte Duane müde und ein wenig schwindlig, aber er hatte keine andere Wahl. Onkel Art würde nicht den ganzen Tag hier in der Bibliothek verbringen.
Als erstes erfuhr Duane, daß fast alles, was er vom >A11-gemeingut< über die Borgias wußte, falsch oder völlig verzerrt war. Er hielt einen Moment lang inne, kaute am Bügel seiner Brille und blickte ins Leere, während er überlegte, daß er die ganze Zeit seiner ernsthaften Studien über hatte feststellen dürfen, wie unzuverlässig das Allgemeinwissen doch war. Nichts war so einfach, wie dumme Menschen das voraussetzten. Duane fragte sich, ob dies ein Naturgesetz des Universums war. Wenn ja, wurde ihm ganz krank beim Gedanken an die vielen Jahre des Ent-Lernens, die vor ihm lagen, bevor er richtig zu lernen anfangen konnte. Er sah sich in den Regalen um und war niedergeschlagen, weil er all diese Bücher niemals lesen würde ... ganz zu schweigen von allem, was die Universitätsbibliotheken von Princeton, Yale, Harvard und allen anderen Schulen bargen, das er in sich aufnehmen wollte.
Duane rüttelte sich wach, rückte die Brille zurecht und las die Notizen, die er sich gemacht hatte.
Erstens: Lucrezia Borgia schien mehr ein Opfer
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