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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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einer Vielzahl von Stämmen, so dick wie der Unterarm eines Jungen, ein Wirrwarr von Blättern darüber, die sich fast mit dem Laubbaldachin der Bäume vereinten. Aber wenn man sich an der richtigen Stelle auf die Knie niederließ, und genau im richtigen Winkel durch den Irrgarten von Ästen und Stämmen kroch, tauchte der Eingang zu einem wahrhaft wunderbaren Versteck auf.
    Dale und Lawrence trafen als erste ein, keuchten und sahen über die Schultern, hörten die Schreie von McKown und den anderen nur hundert Meter hinter sich. Sie vergewisserten sich, daß niemand in der Nähe war, ließen sich auf dem grasbewachsenen Hügel auf die Knie nieder und krochen ins Lager Drei hinein.
    Das Innere war solide und sicher wie ein Iglu, ein fast perfekter Kreis mit einem Durchmesser von zweieinhalb Metern, und in den Mauern des Gestrüpps einige Gucklöcher, das Ganze aber dennoch von außen vollkommen vor suchenden Augen verborgen. Eine Laune der Hügelbildung - möglicherweise aufgrund des palisadenähnlichen Rings aus Buschwerk selbst - hatte hier für eine fast waagerechte Bodenbeschaffenheit gesorgt, wogegen der Rest der Bergflanke recht steil war. In diesem Ring wuchs ein weiches, niederes Gras, das eine Oberfläche so glatt wie grüner Filz lieferte.
    Dale hatte einmal während eines heftigen Sommergewitters im Lager Drei gelegen und war so trocken geblieben wie in seinem eigenen Zimmer daheim. In einem verschneiten Winter hatten er und Lawrence und Mike sich einmal durch den Wald gekämpft und Lager Drei mit einiger Mühe gefunden - die Büsche und Gehölze hier sahen ohne ihr Laub ganz anders aus -, waren hineingekrochen und hatten festgestellt, daß das Innere fast schneefrei und die Palisade der Holzstämme so undurchsichtig wie immer war.
    Jetzt lagen er und sein Bruder da, atmeten so leise wie möglich und lauschten den aufgeregten Rufen von McKown und den anderen, die lärmend durch den Wald trampelten.
    »Sie sind da lang!« sagte Chuck Sperlings Stimme. Er befand sich auf dem alten Waldweg, der zwanzig Schritte am Lager Drei vorbeiführte.
    Plötzlich ertönte Rascheln und Knacksen unmittelbar außerhalb, Dale und Lawrence hoben die Stöcke, die sie getragen harten, wie Speere, aber dann kam Mike O'Rourke durch die niedere Tunnelöffnung gekrochen. Mikes Gesicht war gerötet, seine blauen Augen glänzten, er hatte sich an einem Zweig gekratzt, so daß sich ein dünner Blutfaden über seine linke Schläfe zog. Er grinste breit.
    »Wo haben sie ...«, begann Lawrence.
    Mike hielt dem kleineren Jungen mit der Hand den Mund zu und schüttelte den Kopf. »Direkt draußen«, flüsterte er. Alle drei Jungs warfen sich flach auf den Boden und drückten die Gesichter neben die Stämme der Büsche.
    »Verdammt«, sagte Digger Taylors Stimme keine fünf Schritte bergauf. »Ich habe gesehen, wie O'Rourke in diese Richtung gelaufen ist.«
    »Barry!« Das war Chuck Sperlings Stimme dicht außerhalb des Gestrüpps. »Siehst du sie da unten?«
    »Nö«, brüllte der dicke Fussner-Zwillingsbruder. »Den Weg hier ist niemand entlanggekommen.«
    »Scheiße«, sagte Digger. »Ich hab' ihn gesehen. Und die beiden Stewart-Tüpfelscheißer sind auch da entlanggelaufen.«
    Im Lager Drei ballte Lawrence die Faust und wollte aufstehen. Dale zog seinen Bruder nach unten, obwohl man in dem Kreis stehen konnte und trotzdem nicht gesehen wurde. Dale forderte gestikulierend Schweigen, mußte aber grinsen, weil Lawrences Gesicht so rot wurde. Diese dunkle Röte war ein sicheres Zeichen dafür, daß sein Bruder bereit war, den Kopf zu senken und gegen jemanden loszustürmen. Dale hatte es schon oft genug gesehen.
    »Vielleicht sind sie bergauf zum Friedhof oder zurück zum Steinbruch.« Gerry Daysingers Stimme, keine fünfzehn Schritte vom Lager entfernt.
    »Sucht zuerst hier in der Gegend!« befahl Sperling im hochnäsigen Tonfall, dessen er sich in der Jugendliga befleißigte, weil sein Dad Trainer war.
    Mike, Dale und Lawrence hielten ihre Stöcke wie Gewehre, während sie dem Stapfen und Rascheln auf dem Hügel lauschten, als die anderen Jungs buchstäblich auf die Büsche klopften, hinter umgestürzten Stämmen nachsahen und durchs Unterholz brachen. Jemand schlug sogar mit einem Stock gegen die Südseite von Lager Drei, aber das war, als würde man gegen eine solide Wand schlagen. Wenn man das Zick und Zack auf der Ostseite nicht kannte und durch die letzte Öffnung kroch, die schmaler als ein Ablaufrohr war, fand man den Weg herein

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