Sommer der Sehnsucht
die Seite mit den Leserbriefen. Angesichts all der kleinlichen Beschwerden konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken.
„Gott, ich liebe das Leben in der Kleinstadt“, murmelte er. „Irgendwer hat immer etwas zu sagen …“
Aber dann fiel sein Blick auf einen bestimmten Brief, den er aufmerksam zu Ende las. Danach blickte er stirnrunzelnd in Richtung Schlafzimmer. Jesse holte tief Luft. Dann marschierte er, zwei Tassen Kaffee in Händen und die Zeitung unterm Arm, zu Bella.
Sie hatte sich unter der Decke eingekuschelt und schlief immer noch. Einen Moment lang überlegte Jesse, ob er die Zeitung einfach vergessen und sich lieber zu ihr in das große Bett legen sollte. Doch dann schüttelte er den Kopf und ging quer durchs Zimmer. Er setzte sich auf die Bettkante, stellte die Tassen auf den Nachttisch und strich Bella eine Strähne ihres vollen Haars aus dem Gesicht. Sie war so schön. Und so entsetzlich hinterlistig.
„Bella“, sagte er. „Wach auf.“
„Was? Wieso?“ Sie zog sich das Kissen über den Kopf und kroch noch tiefer unter die Decke.
Jesse nahm ihr das Kissen weg und warf es auf den Boden. „Komm schon, werd endlich wach.“
Sie öffnete ein Auge und blinzelte ihn an. „Jesse, es ist noch dunkel .“
„Die Sonne geht auf, und die Zeitung ist schon da. Hier, der Morgan Beach Weekly. “ Er sah sie an und wartete auf ihre Reaktion.
„Hier riecht’s gut.“ Verschlafen lächelte sie ihn an. „Kaffeeduft.“
„Ich habe dir einen mitgebracht“, erwiderte er und reichte ihr eine Tasse, während sie ein Kissen nahm und es sich hinter den Rücken stopfte. Ihr Haar war zerzaust, und ihr war das Laken heruntergerutscht, sodass er ihre nackte Brust betrachten konnte. Sie sah wunderschön aus. Und unschuldig.
Komisch, bei allem, was bis jetzt geschehen war, hätte er nie gedacht, dass sie immer noch gegen ihn arbeitete.
Sie trank einen Schluck, seufzte und blinzelte ihn an. „Warum sind wir schon wach?“
„Ich stehe immer sehr früh auf.“
„Was für eine unangenehme Angewohnheit“, antwortete sie schläfrig und lächelte ihn sanft an. „Aber durchaus in Ordnung, da ich wenigstens einen Kaffee bekomme.“
„Hm-hm“, entgegnete er und hielt ihr die Zeitung vors Gesicht. „Und Lektüre.“
„Was?“ Sie starrte auf die Zeitung, die er so gefaltet hatte, dass ihr Artikel hervorstach. Es dauerte einen Moment, bis Bella reagierte. „Oh nein!“
„Oh ja“, sagte er und zog die Augenbrauen hoch. „Dein Leserbrief wurde veröffentlicht.“
„Jesse …“
„Warte, ich lese dir meine Lieblingsstelle vor“, unterbrach er sie und richtete seinen Blick auf das Blatt. „‚Morgan Beach verkauft seine Seele einem skrupellosen Geschäftemacher, dem es egal ist, was mit uns und unseren Häusern geschieht, solange sein Unternehmen ein dickes Plus macht. Wir sollten alle zusammenhalten und Jesse King klarmachen, dass wir nicht käuflich sind. Morgen Beach gab es schon lange vor Jesse King. Und das wird es auch dann noch geben, wenn er endlich nicht mehr so tut, als wäre er ein Mitglied dieser Gemeinde.‘“
Stöhnend schloss Bella die Augen und schlug schamhaft die Hände vors Gesicht.
Sie sah zwar nicht besonders glücklich aus, aber das war Jesse gleichgültig. Obwohl er auch ein bisschen erleichtert darüber war. „Sehr hübsch“, sagte er sarkastisch. „Mir gefällt vor allem der ‚skrupellose Geschäftemacher‘. Aber auch der Rest ist brillant. Du solltest schreiben, finde ich.“
„Ich war wütend.“
„Ach?“, entgegnete er. „Und jetzt bist du es nicht mehr?“
Sie zog das Laken etwas höher und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich weiß es nicht.“
„Du weißt es also nicht.“ Jesse stand auf und ging zum Fenster. Er fühlte sich, als hätte er Schlag in den Magen bekommen. Er hatte gewusst, dass Bella die ganze Zeit über ein Problem mit ihm gehabt hatte. Trotzdem. Sie hatte die ganze Nacht mit ihm verbracht und gewusst, dass sie ihn zum Gespött der Leute machte.
Im Geiste ließ Jesse die vergangene Nacht Revue passieren. Wie hatte Bella ihm gegenüber so leidenschaftlich sein und gleichzeitig so schlecht über ihn denken können? Es war merkwürdig, aber er fühlte sich, als sei er benutzt worden. Und mit einem Mal konnte er sich vorstellen, wie sich all die Frauen gefühlt haben mussten, die ihm im Leben begegnet waren.
Nicht gerade der beste Zeitpunkt für eine Erkenntnis, dachte er.
Er blickte aufs Meer und versuchte, nicht auf
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