Sommer der Sehnsucht
das Rascheln der Laken zu achten. Er wusste, dass sie gerade aufstand. Und obwohl er frustriert war, erregte ihn die Vorstellung, sie nackt in seiner Nähe zu haben. Wie verrückt war das, die Frau haben zu wollen, die ihn so sehr hasste?
Einen Moment später stand sie, in seine schwarzweiße Decke gehüllt, neben ihm am Fenster. „Ich habe diesen Brief völlig vergessen.“
„Ziemlich billige Entschuldigung, finde ich.“ Jesse warf die Zeitung auf einen Stuhl und trank einen Schluck Kaffee.
„Das ist keine Entschuldigung. Als ich das geschrieben habe, habe ich es auch so gemeint. Dafür kann ich mich nicht entschuldigen.“
Er sah sie fragend an. „Meinst du ernst, was da steht? Glaubst du wirklich, mir ist egal, was mit Morgan Beach passiert?“
„Jesse“, entgegnete Bella kopfschüttelnd. „Als ich hierhergezogen bin, habe ich diesen Ort über alles geliebt.“ Sie blickte aufs Meer, über dem gerade die Sonne aufging. „Vorher hatte ich noch nie ein eigenes Zuhause gehabt. Ich … Ich bin in Pflegefamilien aufgewachsen.“
Sie sagte das so sachlich, dass Jesse nicht einmal eine mitfühlende Bemerkung machen konnte. Aber er erinnerte sich wieder daran, wie sehnsüchtig sie seine Familienfotos betrachtet hatte. Und dann versuchte er, sich vorzustellen, wie es sein musste, mutterseelenallein aufzuwachsen, wie er sich ohne seine Brüder und Cousins gefühlt hätte. Gegen seinen Willen empfand er nun doch etwas Mitgefühl für das kleine Mädchen, das sie einst gewesen war.
Und Jesse war erstaunt, dass er so viel für sie empfand. Er hätte eigentlich beleidigt sein sollen. Doch wie sie so neben ihm stand, fiel es ihm immer schwerer.
„Ich habe diese sympathischen kleinen Häuser auf der Main Street geliebt“, sagte Bella. „Das ruhige Leben, die Strandhäuschen, den Zusammenhalt der Menschen hier. Ich habe sofort gespürt, dass ich hierher gehöre. Das erste Jahr habe ich damit verbracht, mich mit allem vertraut zu machen und meinen kleinen Laden aufzubauen.“ Sie drehte sich um und sah ihn direkt an. „Dann bist du hierhergekommen und hast alles verändert.“
Jesse glaubte, nun etwas besser zu verstehen, warum sie versucht hatte, ihn zu bekämpfen. „Nichts bleibt, wie es ist“, erwiderte er.
„Das glaube ich auch nicht“, sagte sie ruhig und blickte wieder aufs Meer, wo die aufgehende Sonne die Wellen beschien.
„Dann findest du also, Veränderungen sind etwas Schlechtes?“
„Nein, nicht schlecht. Aber es sind eben Veränderungen“, entgegnete sie. „Ich will sie nicht. Ich liebe dieses Städtchen. Ich habe es für das geliebt, was es war. Ich war wütend auf dich …“
„Weil ich ein Seelenkäufer bin?“, fragte er provozierend und verspürte den Stich, den diese Bezeichnung ihm versetzte. Er hatte nie ein skrupelloser Geschäftemacher oder ein professioneller S onstwer werden wollen. Irgendwie war es ihm dann eben doch passiert. Aber im Laufe der Zeit hatte er damit leben können, sogar Spaß an der Arbeit gefunden. Bis er Bella getroffen hatte. Plötzlich war wieder dieses alte unangenehme Gefühl da. Wieder fühlte er, dass sein Erfolg nur ein Trugschluss war.
Sie schloss die Augen. „Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe … Nein, eigentlich wollte ich es ja. Aber das war vorher.“
„Bevor du wieder in meinem Schlafzimmer gelandet bist?“, fragte er hitzig. „Ganz schön peinlich, mit demselben Kerl ins Bett zu gehen, den du vorher in der Öffentlichkeit bloßgestellt hast, was?“
„Darum geht es nicht, Jesse“, sagte sie und zog die Decke enger um sich. „Vielleicht habe ich dich falsch eingeschätzt, und …“
„ Vielleicht ?“ Er lachte auf. „Na, das ist wirklich verdammt großzügig von dir.“
Sie streckte eine Hand nach ihm aus und berührte seinen Oberarm. Dann sah sie ihm in die Augen. „Ich habe mich geirrt. Ich gebe es zu. Ich wollte dich hassen, weil es einfacher war. Ich wollte, dass du Morgan Beach verlässt, weil ich dich nicht sehen wollte, wenn ich dich nicht haben könnte. Ich wollte …“
„Was?“, fragte er leise und hielt den Blick fest auf sie gerichtet.
„Dich, Jesse“, sagte sie schließlich. „Ich wollte dich , konnte es mir aber nicht eingestehen.“
Jesse holte tief Luft, nahm dabei ihren Duft wahr und strich dann durch ihr volles weiches Haar. Er betrachtete ihren Mund, bevor er ihren besorgten Blick auffing. „Und jetzt gibst du es zu?“
Sie ließ absichtlich die Decke zu Boden gleiten. Selbstsicher trat
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