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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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erklärte er mir nachher, eine Kluge, sagte er, aber ich dachte nur daran, wie Hubert die Frau geküsst hatte. Dass er nicht mehr mein Freund sein würde, hatte ich gefürchtet. Ich hatte mich darauf vorbereitet, als er am nächsten Mittwoch kam, aber als ich ihm öffnete, verbeugte er sich tief, die Herrin des Hauses, sagte er, ich sollte sein Lächeln nicht sehen. Ich nahm das Kräuterbüschel entgegen, Petersilie und Thymian. Ich gewährte ihm Einlass, ich führte ihn in die Bibliothek und später wieder zur Tür, auf Wiedersehen, Ana, sagte er und ging hinaus in das andere Leben, das draußen war.
    Im Studio meiner Mutter am anderen Ende des Hauses trafen sich Tänzer und Tänzerinnen, halbnackt, sagte der Vater, ich will keine Halbnackten in meinem Haus, wenn sie in Trainingshosen, in Trainingsleiberln in der Küche standen oder manchmal im Garten, junge Männer und Frauen, deren Haut feucht war. Schmarotzer, sagte mein Vater, siehst du das nicht, halbnackte Schmarotzer, nicht in meinem Haus, die Mutter machte die Lippen schmal. Wenn der Vater im Sommer weg war, feierte die Mutter Feste, manchmal war sie wie toll. Ich versteckte mich, wenn sie mich ins Bett schickte, und schlief dann ein, auf der Treppe, im Garten, in einem Winkel im Haus. Später hob sie mich hoch, ein Flüstern, sie trug mich in mein Zimmer, in mein Bett. Und manchmal, schien mir, war sie nicht alleine, das war aber, so dachte ich am nächsten Morgen, nur ein Traum gewesen, ein flüsternder Traum.
    In meinem Haus, hatte der Vater gesagt, die Mutter hatte nicht gewusst, oder es mir nicht gesagt, dass er kommen würde. Ich war auf dem Treppenabsatz gesessen und hatte die Mutter gehört, wie sie lachte, wie sie sang, wie sie sich drehte, am Rasen, unter den Linden, unter der Buche. Ich war eingeschlafen, die Stimme des Vaters hatte mich geweckt.

    Freund und Mentor, steht auf der Seite des Österreichischen Archäologischen Instituts, Nachruf Professor Reitinger. Mein Vater sieht mich aus meinem Laptop heraus an, ich klicke ihn weg, ich klicke mich durch die Seiten. Bouleuterion, lese ich, Hanghäuser, Artemision. Die Hafennekropole, das Oktogon, noch einmal die Hanghäuser. Zikaden schrillen, die Wände sind stierblutrot. Steingerechte Rekonstruktion, lese ich, und eine Wut ist in mir, als ließe sich, steingerecht, etwas rekonstruieren. Und wozu? Virtuelle Anastylose, schwebende Steine in einem luftlosen Raum, nur der Fall hält den Stein, wer hat das gesagt? Da ist ein Stadtplan, den ich kenne, und ein Name. Dokumentation, Analyse, Transformationsprozess. Neuralgische Punkte, denke ich, wo es weh tut, wo einmal Leben war. Das Tor, schreibt einer, als Transitionspunkt zwischen Stadt und Land, drinnen und draußen, hat einer gesagt, Leben und Tod. Dann das Skelett der Stadt im Röntgenbild. Ein anderes Bild, lichtumflossen. Schwarz, in einem Bett aus Erde, du musst die Augen senken, hat der Vater gesagt, es ist keine Luft, die ich atmen kann. Im schriftlosen Dunkel, wer führt uns. Als jagte mich mein Herz. Keine Feinchronologie für mich. Neutronenaktivierung. Über eine Scherbe jagt bräunlichrot ein Hund.

    Ich habe nicht viel geschlafen in dieser ersten Nacht in Selçuk. Eine schimmernde Säule war in meinen Träumen, ein sanft wogendes Meer, und Hubert, dem ich mit einer wilden Freude entgegenlief.
    Um sechs Uhr war ich im Grabungshaus, da war noch kaum einer beim Frühstück. Der Tee war bitter, fast schwarz, bis mir eine zeigte, dass ich ihn mit Wasser aufgießen musste. Ich knabberte an Gurkenscheiben und Oliven, nach und nach füllte sich der Speisesaal, ja, sagte ich zu Vildan, die mir mit dem Tee geholfen hatte, das ist mein Vater. Dann kam der Vater, gut geschlafen?, fragte er und schob mir einen Kuchenteller hin. Wenn er mich vorstellte, legte er seine Hand auf meine Schulter, probier das, sagte er, und das. Und mittendrin sagte er, weißt du, wie sehr ich mir gewünscht habe, dass du einmal hierherkommst. Er lachte, ich hatte vergessen, wie mein Vater lachte, wir müssen, sagte er, komm mit.
    Hubert stand in der Auffahrt, mit dem Rücken zu uns, ich drehte mich nach meinem Vater um, aber der teilte gerade die Leute auf die Busse auf. Hubert reckte sich, als ob er müde wäre, er fuhr sich mit den Händen durchs Haar, ich wusste, wie er das machte. Hubert, sagte ich in seinen Rücken hinein. Ich bin’s, sagte ich, als er sich umdrehte, Ana, Anastasia.
    Etwas verzog sein Gesicht, das Töchterl, sagte er, das

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