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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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Längsseiten in zwei Reihen, an den Schmalseiten in drei Reihen das Allerheiligste, die Cella. Die kannelierten Säulen trugen ionische Kapitelle. Sechsunddreißig Säulenschäfte waren zum Teil mit großen Reliefs geschmückt. Das Meer reichte in der Antike bis zum Tempel.
    Ich drehte mich zu meinem Vater um.
    Das hab ich immer so gemocht, sagte ich, dass das Meer bis an die Stufen des Tempels gereicht hat. Ich habe es mir immer vorgestellt, dass ich in einem Schiff komme und den Tempel sehe, an dessen Stufen die Wellen schlagen, oder dass ich auf den Stufen des Tempels sitze und die Schiffe sehe, die in den Hafen einfahren.
    Eine Weile standen wir noch so, mein Vater und ich, und sahen die Säule an.
    Bist du nicht hungrig?, fragte er schließlich, du musst doch hungrig sein.
    Ja, sagte ich. Sehr.
    Magst du im Grabungshaus essen?
    Nein, sagte ich, da sind jetzt sicher viele Leute, ich mag heute nur mit dir essen.
    Dann saßen wir auf der Dachterrasse des Hotels, ich sah auf die grüne Ebene hinunter, über die Störche flogen. Spatzen hüpften zwischen Drähten und Wolken von Rabenvögeln, schwarz, rauschten in Formationen von der Moschee über die Terrasse und in einem weiten Bogen wieder zur Moschee zurück.
    Ich bring dich noch ins Grabungshaus, sagte ich.
    Und morgen fährst du also gleich mit, sagte der Vater. Um sieben Uhr ist Abfahrt, findest du den Weg?
    Ich verdrehte die Augen. Es gibt nur die eine Straße, sagte ich, beim Laden links herauf und dann noch einmal links, ich glaube, das schaffe ich.
    Mein Vater küsste mich auf die Stirn, das hatte er zuletzt getan, als ich ein Kind war, ich hätte weinen mögen. Ich freue mich, dass du da bist, sagte er.
    Ja, sagte ich, ich mich auch.
    Beim Zurückgehen packte mich eine wilde Freude. Ich stieß einen Schrei aus und lief und lief und lief die Straße hinunter. Am Ende der Straße stand einer, eine wilde Freude war in mir. Als ich dann im Bett lag, wusste ich plötzlich, der Mann am Ende der Straße, das war Hubert gewesen.

    Wenn der Vater weg war, war ich einsam, also dachte ich ihn mir zu mir. Ich konnte so stark an den Vater denken, dass es fast so war, als wäre er bei mir. Die Mutter hatte gesagt, dass er glücklich war, wenn er weg war, er braucht uns nicht, hatte sie gesagt, aber das stimmte nicht. Ich wusste, dass der Vater so fest an mich dachte, dass es fast so war, als wäre ich bei ihm.
    Die Mutter tanzte in ihrem Studio, manchmal fuhr sie in die Stadt, sei brav, sagte sie. Ich blieb bei der Vroni, wir kochten Marmelade ein, oder die Omi war da, wenn die Mutter zurückkam, glänzten ihre Augen und ihr Haar flog. Sie roch fremd, und es überraschte sie, schien mir, mich zu sehen.
    In der Bibliothek gehörte der Vater mir. Er las und schrieb und ich blätterte in den Konvoluten, in den Atlanten, in den Bildbänden, und der Vater sah auf, sah mich über die Brille hinweg an, die Keramiken, sagte er, sind ein wichtiger Hinweis. Oder er sagte, aber das ist doch vollkommen klar, eigentlich, dass in Milet und Pergamon. Wir sollten die Anthropologen dazunehmen, sagte er, oder er sagte, wir müssen unbedingt, die Pläne stimmen ja so nicht mehr, das Gelände neu kartografieren.
    Ich nickte und er las weiter und machte sich Notizen und klapperte etwas in die Schreibmaschine, es roch nach Leder, nach Wolle und nach Büchern. Durch das Fenster fiel grün gefiltertes Licht, oder Regen rauschte leise oder Schnee fiel. Wenn Hubert da war, saß ich auf der Treppe, oder vielleicht, wenn es warm war, im Garten unter dem offenen Fenster der Bibliothek. Ich hörte ihre Stimmen, ich dachte mir den Vater und Hubert, mein Vater war so stolz auf ihn. Oder sie gingen im Garten ihre Wege, mein Vater und Hubert, aus dem Fenster im ersten Stock sah ich sie, wie sie gestikulierten, stolz und ergeben beide, so flammend. War das Mitleid, was ich spürte.
    Im Leben, das draußen war, hatte Hubert eine Freundin, ich hatte sie gesehen, als ich mit dem Vater im Museum war. An Sonntagen ging ich mit ihm ins Museum, ich zog ihn an der Hand, weil ich das Labyrinth und den Stier sehen wollte, und da, im Säulengang, stand Hubert. Er küsste, aber das sah ich zu spät, ein Mädchen, eine junge Frau, da hatte ich ihn schon gerufen, er drehte sich um, Ana, sagte er. Dann sah er meinen Vater, Herr Professor, sagte er, Richard, eine Röte flog über sein Gesicht. Mein Vater schüttelte ihm die Hand, schüttelte der jungen Frau die Hand, Elfriede, sagte er.
    Eine meiner Studentinnen,

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