Sommer in Ephesos
Eichenbäumen, auf die sank ich nieder, wie angerührt von etwas. Manchmal saß ich dort eine Stunde. Die Luft zitterte schon über dem Staatsmarkt, Anfang Juli war das Gras noch grün.
Die Südstraße hinauf, an der Fontäne vorbei zur Nekropole, dass so nah Gräber lagen, verwunderte mich. Zwischen Säulen baute ich mir Kuppeln und Hallen in die Luft. Wenn dann die ersten Touristen am Odeion auftauchten, bunt beschirmt, unter Bäume sich drängend, nickend und schwatzend die Augen auf den Reiseleiter gerichtet, lief ich weiter. Vor den gefleckten Säulen des Prytaneions atmete ich noch einmal tief ein, die Gasse hinunter durch das Heraklestor steuerte ich auf die Bibliothek zu. Glänzenden Marmor unter meinen Füßen kam ich zum Theater, dort kletterte jemand in den Mauern, erklärte mir die Steine, dann gab es Tee, wir saßen hoch oben im Tonnengewölbe an langen Tischen. Sesamkringel, weißer Käse und kleine schwarze Oliven. Der Tee war süß, ein türkischer Arbeiter schenkte uns nach, rotgold, in kleinen, bauchigen Gläsern. Über die Arkadiane lief ich Richtung Hafen oder ich bog nach rechts zur Marienkirche ab. Die Hafenthermen, die Hafentore lagen wild verwachsen. Brauchst du was?, fragte mein Vater, einen Führer, sagte ich und er drückte mir, als hätte er darauf gewartet, ein Buch in die Hand, die Arbeit der letzten Jahre, sagte er.
Wenn die Kuretenstraße zu eng wurde für die Touristenherden, wenn sich die Scharen vor der Bibliothek drängten, es empörte mich, dass sie, fast nackt manche, mit schweißglänzenden Oberkörpern in die Stadt kamen, so die Stadt abfotografierten, um Mittag schien mir die Stadt, die vor Leibern überquoll, wie entseelt. Dann ging ich dorthin, wo die anderen nicht sein durften, dann streunte ich über die untere Agora, ging das Säulengeviert aus, innen und außen, saß lange an eine Säule gelehnt, manchmal flatterte etwas vorbei. Ich verkroch mich im Hain, dort war eine dunkle Süße. Ich suchte das Medusentor, leere Augen, ein Mund, in dem eine Schlange sich sonnte. Auf den Stufen des Serapeions im Schatten des Bülbüldag saß ich und dachte, vom hingeworfenen Durcheinander der Marmorblöcke entzückt, große Gedanken. Manchmal schrieb ich seltsame kleine Geschichten von goldenen Käfern und von der Zeit, die vergeht.
Ich hab alles gesehen, sagte ich zu meinem Vater nach der ersten Woche. Er lachte. Dann schau genauer hin, sagte er. Und dann war ich bei Jan, Hanghaus 2, Wohneinheit 7. Sehen, was den Raum macht und die Zeit, Schichten von beidem, das war so ein Wunder. Balkenlöcher und Verstürze, Brandschichten, Baufugen, Störungen im Mauerwerk, und eingeritzt auf rotem Grund Gladiatoren, die noch immer kämpften und noch immer starben. Jungmädchenwände standen in cremigem Gelb, Blütenschauer und Vögel, spitz, in rostrotem Rahmen. Wenn ich nichts mehr sah, weil mir das Licht und die Luft wie Schleier vor die Augen fielen und die Zikaden schrillten, dann machte ich eine Pause, aber nicht lange. Beweisen, dass ich kein Töchterl war, Professorentöchterl, das machte mich wütend oder traurig, aber ich hatte keine Zeit, wütend oder traurig zu sein, ich hatte ein Hanghaus zu vermessen.
Im Marmorsaal lag auf langen Tischen das Puzzle, so nannten sie es, das Riesenpuzzle, das sollte an die Wand, tausende Fragmente. Die Arbeiter und die Restauratoren gingen von Tisch zu Tisch, sie nahmen die Fragmente in die Hand, roter Stein, grüner Stein, weißgrau mit braunen Schlieren, drehten sie, legten sie an andere Steine an, legten sie wieder auf den Tisch, gingen weiter. Manchmal sehe ich es im Traum, sagte Sinan, der Chefrestaurator, wo jede Scherbe hingehört. In der Früh, sagte er, mache ich es genauso wie im Traum – und es passt. Im Traum sehen, wie es gehört, dachte ich.
Einmal, an einem Vormittag, Jan brauchte mich erst später, ging ich ins Serapeion, die Steine mir anschauen, die wie hingeworfen lagen, in einem Schatten sitzen. Da war eine Echse, groß und fleischig, ihre Augen waren blau und grün, die kam wie in einem Lauf mit einer Kraft in weiten Sprüngen auf mich zu. Wäre sie mich angesprungen, ich hätte mich nicht gewehrt.
Als Jan dann wegfuhr, war es, als hätte mir jemand den Boden weggezogen. Er lachte, als er mein Gesicht sah, ich komm ja wieder, sagte er, ich bin zwei Wochen in Aphrodisias, in Limyra, dann komme ich wieder und schule dich in die Geländevermessung ein, okay. Ich nickte, er umarmte mich ein wenig ungeschickt. Weil ich ohne Jan
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