Sommer in Ephesos
Südfront, im zweiten in Russland. Dort hat er sein Bein verloren, das hat ihm das Leben gerettet. Das Lachen hat er aber schon im ersten Krieg verloren. Die Großmutter hat immer gesagt, er hat das Lachen im Krieg gelassen. Das Leben hat ihn nicht mehr gefreut. Weil ich muss, hat er gesagt, lebe ich es bis zum Ende.
Bist du einsam gewesen als Kind?
Eine Zeit lang, aber dann sind ja die Brüder da gewesen.
Wo war dein Großvater stationiert?
Görz, sagte Friedrich, Gorizia.
Möchtest du dorthin fahren?
Friedrich dachte nach, nein, sagte er, vielleicht ein anderes Mal. Würdest du mitkommen wollen?
Würde ich mitkommen wollen, ja, sagte ich und dachte, dass ich ihm jetzt ein Versprechen gegeben hatte. Das wollte ich doch nie mehr tun.
Über Bozen wollten wir noch ins Italienische hineinfahren. Friedrich hat das so gesagt, ins Italienische hineinfahren, aber wir sind in Italien, habe ich gesagt. Ja, hat er gesagt, deswegen möchte ich auch noch ins Italienische hineinfahren.
Einen Tag sind wir an einem See gewesen, der lag zwischen den Bergen wie ein Auge, tiefblau und kalt. Den ganzen Tag bin ich mit Friedrich am See gewesen, es war gut, bei ihm zu sein, ich habe ihn ansehen müssen, als wollte ich sehen können, wie er wirklich war. Und es war, als hätte ich ihn in dieser Nacht das erste Mal geliebt. Du, habe ich gesagt, bevor wir eingeschlafen sind, erwarte dir nicht zu viel von mir. Ich bin gut im Warten, hat er gesagt.
Am nächsten Tag sind wir in Bozen stehen geblieben. Wir sind über den Markt gegangen, ich habe seine Hand gehalten. Wir sind in einem Gastgarten gesessen, die Sonne ist in Kreisen und Ecken durch das Laubdach gefallen. Es war eine Zärtlichkeit in mir, weil ich nach Worten suchte, sah ich zum Nebentisch hinüber, da sah mich einer an, den ich kannte. Ich habe mich zurückgelehnt und Friedrichs Hand losgelassen. Anastasia, hat Hubert gesagt, dass ich dich hier wiedersehe. Das ist Hubert, habe ich zu Friedrich gesagt, ich kenne ihn von früher. Wollt ihr euch nicht zu uns setzen?, hat Hubert gesagt.
Nach zwei Stunden sind wir wieder aufgestanden, es war keine Zärtlichkeit mehr in mir und auch sonst nichts. Bring mich zum Bahnhof, habe ich gesagt, ich fahre nach Hause.
Wir haben noch zwei Tage, hat Friedrich gesagt.
Ich kann mir auch ein Taxi nehmen.
Schließlich hat mich Friedrich nach Hause gefahren, von Bozen nach Wien. Mir ist, als hätte ich sieben Stunden lang die Luft angehalten. Als er mich in der Nacht vor meiner Wohnung abgesetzt hat, habe ich ihn schon fast ausgelöscht gehabt. Ruf mich nicht an, habe ich gesagt, ruf mich nie wieder an. Und als er protestieren wollte, mich zurückhalten wollte, habe ich ihm die Hand weggeschlagen. Ich habe dir gesagt, du sollst dir nichts von mir erwarten, ruf mich nicht mehr an.
Mir Hubert wegficken, mir meine Zärtlichkeit für Friedrich wegficken, mich bewusstlos ficken, weil ich mich anders nicht ertrug, das ist es, was ich getan habe. Als ich Friedrich wieder gesehen habe, das war erst gegen Ende des Sommers, da wollte ich, dass es so war, als hätte es Südtirol nie gegeben.
Vielleicht bin ich für Hubert immer das gewesen, immer zuerst Richards Tochter. Vielleicht hätte ich verstehen müssen, dass ich für ihn am Anfang und am Ende letztlich immer Richards Tochter war. Vielleicht, auch das scheint mir möglich, hat er mich vor allem deshalb geliebt.
Was hat mein Vater mit uns zu tun?, fragte ich.
Er würde es nicht wollen, sagte Hubert, und vielleicht hat er damit auch recht.
Womit recht, rief ich verzweifelt, womit soll mein Vater recht haben? Es hat doch nicht mein Vater zu bestimmen, mit wem ich zusammen sein will.
Es ist umgekehrt, andersherum, nicht, mit wem du zusammen sein willst, das ist ja nicht die Frage.
Auf der nächtlichen Straße fuhren Buben mit ihren Fahrrädern, über Perlarmbänder gebeugt saßen Mädchen zusammen und kicherten, und vor dem kleinen Laden am Eck lag ein Hund und streckte sich, gähnte, dass ich seine rosa Zunge sehen konnte. Ach, sagte ich, und was ist die Frage?
Ich bin nicht gut für dich, sagte Hubert, nicht gut genug, oder nicht richtig. Das würde jedenfalls dein Vater sagen. Es wäre einfacher, sagte er, wenn du nicht Richards Tochter wärst.
Da musste ich lachen, weil ich gewonnen hatte. Du bist ein Feigling, sagte ich und küsste ihn, wild und ungeschickt. Ich will mit dir zusammen sein, sagte ich, atemlos plötzlich, ganz.
Ana, sagte er, du –
Ich will jetzt nicht vernünftig
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