Sommer in Ephesos
das gut oder ist das nicht gut?
Herrgott, Anastasia, sagt Hubert und bleibt so plötzlich stehen, dass ich fast in ihn hineinlaufe. Was glaubst denn du, was es ist, sagt er und dann küsst er mich, dass es fast weh tut, und ich bekomme keine Luft.
Er lässt mich los und geht, sehr schnell und als müsste er vor etwas fliehen.
Nicht hier, hat Hubert am nächsten Morgen gesagt, als ich beim Frühstück vor seinem Tisch gestanden bin, nicht jetzt und nicht hier. Er ist aufgestanden, der Sessel hat laut über den Steinboden gekratzt. Nicht jetzt und nicht hier, das habe ich dann den ganzen Tag gedacht. In der Nacht hatte ich mir seine Hände auf meiner Haut gedacht, du wirst es schon sehen, hat die Mutter geflüstert. Ich hatte mir Huberts Lippen gedacht und seine Hände, sein Gesicht, ganz nah, du wirst es schon sehen, nein, habe ich gedacht, das ist etwas anderes, wie gut es tut, etwas ganz anderes, das verstehst du nicht, du verstehst nicht, hat die Mutter gesagt. Nicht jetzt und nicht hier, wieso war eine Beschämung in seiner Stimme gewesen? Herrgott, Anastasia, seine Hände, seine Lippen, was glaubst denn du, was es ist, wieso die Scham?
Du weißt, dass das nicht geht, Anastasia, hat Hubert am Abend gesagt, das muss ich dir doch nicht erklären.
Wieso soll das nicht gehen?, fragte ich. Der Geruch von scharfem Tabak und etwas Süßem, Sesam, lag in der Luft. Wieso soll das nicht gehen?
Weil, willst du nicht vernünftig sein, Anastasia?
Wozu?
Anastasia, sagte Hubert, wie bittend. Ich äffte ihn nach, A-na-staaaaa-si-a, hör mir auf mit Anastaaasia, hör mir auf mit vernünftig sein, rief ich. Und tu bloß nicht so, als würdest du hier für mich mitentscheiden müssen. Ich kann das selbst entscheiden, hörst du, und ich weiß, was ich will.
Vielleicht geht es ja nicht nur um das, was du willst, sagte Hubert.
Aber du liebst mich, sagte ich, erstaunt, dass ich das nun wusste.
Ana, sagte Hubert.
Was, Ana, sagte ich. Wie kannst du, ich schluckte meine zornigen Tränen weg, wie kannst du so tun, als ob es nicht so wäre.
Selbst wenn es so wäre, sagte er, darum geht es nicht.
Wieso wäre?
Es hatte mir Angst gemacht, mir vorzustellen, wie ich ihn küssen sollte, aber ich fand seinen Mund und der war mir vertraut, wie ging das. In einem Triumph wusste ich, dass ich recht gehabt hatte.
Es ist zu kompliziert, sagte Hubert. Sein Atem war in meinem Gesicht und das dunkle Grau in seinen Augen war so nah, wie hätte ich glauben können, was er sagte.
Was denn, sagte ich, er küsste mich wie gegen einen Widerstand, was ist denn so kompliziert?
Du bist so jung.
Ich musste lachen, weil es wie ein Vorwurf klang.
Ich bin fast doppelt so alt wie du, sagte er.
Das macht mir nichts, sagte ich, und das stimmt ja auch gar nicht, da gehen dir wenigstens drei Jahre ab.
Ana, sagte Hubert, ich meine das ernst.
Ich auch, sagte ich.
Ich kenne dich, seit du ein Kind warst, fast ein Baby, sagte Hubert.
Ich war vier, protestierte ich, oder fünf. Und ich war zehn, als du gegangen bist. Ich kenne dich also fast mein ganzes Leben, wieso ist das kompliziert?
Deswegen, sagte Hubert und schob mich von sich weg. Wenn ich an dich gedacht habe, früher, und in den Jahren seit damals –
Du hast an mich gedacht?
Manchmal, sagte er.
Wie, fragte ich, wie hast du an mich gedacht?
Wie an eine kleine Schwester. Aber das hier, sagte er, das ist etwas anderes, das geht nicht, und das soll auch gar nicht sein.
Und später, wieso hast du später an mich gedacht?
Du bist nie mehr ins Institut gekommen. Auch wenn dein Vater und ich nicht mehr miteinander geredet haben, habe ich gewusst, wie sehr du ihm fehlst.
Wirklich, sagte ich, habe ich das.
Das musst du doch wissen, sagte Hubert, ich schüttelte den Kopf.
Was ist jetzt?, fragte er, sein Atem streifte mein Gesicht.
Nichts, sagte ich, ich mag nicht über den Vater reden.
Aber das müssen wir, sagte er.
Warum?
Du bist Richards Tochter.
Diesen Sommer habe ich Friedrich nachgegeben und bin mit ihm weggefahren. Kein Badeurlaub, habe ich gesagt, keine Städte, nichts, wo ich nicht innerhalb weniger Stunden daheim sein kann. Ich habe alles abgelehnt, fahr besser allein, habe ich gesagt, bis er gesagt hat, Südtirol. Ich habe gelacht, Südtirol, aber Südtirol ist es geworden.
Ich will ein Einzelzimmer, habe ich zu Friedrich gesagt, als wir am ersten Tag in einem Dorf geblieben sind, ich muss allein sein. Es gab aber nur noch ein Doppelzimmer, willst du weiterfahren?, hat Friedrich
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