Sommer in Ephesos
gesagt, ich habe gesehen, dass er von der Fahrt müde war. Um die Zeit isch es schwierig, hat der Wirt gesagt, also haben wir das Doppelzimmer genommen.
Willst du noch etwas essen?, hat mich Friedrich gefragt, aber ich bin nicht mehr nachgekommen in die Zirbenstube. Ich bin in dem dunklen Zimmer am offenen Fenster gesessen, als er dann zurückkam, tat ich, als schliefe ich. Er kramte nach seinen Sachen, ich hörte, wie er sich auszog, die Zähne putzte, er setzte sich auf das Bett, das unter ihm nachgab, eine Zeit verging, bis er sich niederlegte. Vierzehn Tage mit Friedrich in Südtirol, wieso hatte ich gedacht, dass das gehen könnte.
Aber als ich am nächsten Morgen aufwachte, waren Zwetschkenbäume vor dem Fenster, die Sonne schien durch die grünen Blätter und die Luft war noch kühl. Morgens kühle Luft, so war es gewesen, als ich ein Kind gewesen war. Friedrich war schon aufgestanden, gut geschlafen?, fragte er. Als ich dann zum Frühstück hinunterging, war da Marillenmarmelade in kleinen Schälchen. Man muss mit der Sonne hinaus, hatte der Vater gesagt.
Berge, Weingärten, Wiesen, endloses Grün, sich in die Ferne, in die Weite, in die Tiefe stürzend. Zitronen und Orangen am Spalier, Häuserzeilen an engen Straßen und Butzenscheiben in Weinstuben, Etschundeisack, Alto Adige, das hat mich entzückt. Nebeneinander zwei Sprachen, die fremde verstand ich besser.
Als wir am Abend des ersten Tages in die Pension zurückgekommen sind, hat der Wirt gesagt, es wäre ein Zimmer freigeworden. Nein, habe ich gesagt, das passt schon so. Rotweißkarierte Tuchentberge am Abend, und vor dem Fenster Zwetschkenbäume, Apfelbäume, Nussbäume. Was sind dir die liebsten Bäume?, habe ich Friedrich gefragt und er hat darüber nachgedacht, ernsthaft, weil er über jede Frage ernsthaft nachdenkt.
Manchmal musste ich alleine sein, plötzlich. Als würde er es schon vor mir wissen, hat Friedrich dann vielleicht gesagt, ich lauf ein bisschen herum, ich setz mich ein wenig in die Kirche, ich möchte mir das Kloster noch einmal anschauen, passt das für dich? Dann bin ich in die andere Richtung gelaufen oder zu einem Fluss, unter Bäume, bis ich wieder ruhig war. Danach habe ich ihn gefunden, in einer Kirche vielleicht, er saß in Holzbänken, die knarrten, vor goldenen Altären und rauchgeschwärzten Bildern, in denen das Rot im Dämmerlicht, das in der Kirche war, leuchtete, oder in einem Heimatmuseum vor einer Vitrine. Als wäre ich die ganze Zeit dagewesen, sagte er, hast du gewusst, dass, ist es nicht unglaublich, jetzt schau dir das an. Oder er saß in einem Gastgarten unter Kastanien, ein Buch in der Hand, aber er sah auf die Berge, in ein Tal hinunter. Die Freude, die in seinem Gesicht war.
Wenn wir in die Täler fuhren, das Grödnertal, das Pustertal, das Passeiertal, wenn wir die Flüsse entlang fuhren und auf die Berge hinauf, hatte ich die Oberhoheit über die Gegend. Ich erklärte sie ihm, als würde er nichts sehen, wenn ich es ihm nicht sagte. Nachts hatte es vielleicht geregnet, in der Früh hingen dann Wolken schwer über den Tälern, legten sich an die Bergflanken, Lindwürmer, sagte ich, ein Wolkenlindwurm, Wolkendrachen, schau. Da oben, eine Burg, sagte ich, eine Kapelle, ein Dorf, Landschaft ohne Menschen und plötzlich ein Gehöft. Wie das Wasser schäumt, siehst du, die Etsch, der Eisack, die Rienz, lieblich, sagte ich, das ist eine liebliche Landschaft. Oder eine herbe, hier ist es eher herb und düster, verschlossen. Was für Menschen wohnen hier, was denkst du?
Ein kleiner Mönch lachte auf einer Schaukel. Das Herz ist mir übergeschwappt in Südtirol. Ich habe nicht mehr gewusst, wie es ist, wenn einem das Herz überschwappt. Weil da Berge waren, blaue Berge und grüne Wiesen und Mönche auf Schaukeln, weil es kühl war in kleinen romanischen Kirchen. Eine andere Stille war draußen, Sommerstille, in der die Bienen summten und die Käfer im Gras krabbelten, und am Abend war die Stille unter den Bäumen, und immer war ein Rascheln, ein dunkelgrünes, und ein blaues Rauschen in einem Licht, in einem Schatten. Und Friedrich war mir wie ein Freund und ein Geliebter. Ich muss mir gedacht haben, dass es vielleicht doch möglich ist, eine Freundin zu sein und eine Geliebte.
Die Friedhöfe in Südtirol, aus Steinen gefügte Mauern, weißgekalkt, schmiedeeiserne Kreuze und blutrote Rosen, die in Büscheln schwer sich über die Gräber neigen.
Mein Großvater, sagte Friedrich, war im Ersten Weltkrieg an der
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