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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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habe ich nicht gewusst.
    Aber das musst du gewusst haben.
    Du warst bei deiner Mutter besser aufgehoben.
    Wie willst du das wissen, wollte ich sagen, aber weil der Vater schwer atmete und weil es jetzt auch zu spät war, ließ ich es sein.
    Später, da war es schon Nachmittag, den Mittag hatte ich dösend im Schatten der Stadtmauer verbracht, war der Vater ein Stück der Mauer abgegangen. Sensationell, hat er gesagt, was Werner entdeckt hat, Durchlass für einen Aquädukt, sieh mal, Abarbeitungen am Felsen innerhalb und außerhalb der Stadt, das ist nicht nachträglich hineingebaut. Wasser für die Stadt, dachte ich, es war Ende August und das Land war ausgedörrt, sprudelndes kühles Wasser. Da sagte der Vater, einfach so und ohne mich anzusehen, jetzt habe ich dich ja wieder.

    Ich bin im nächsten Frühling nicht in Ephesos gewesen. Ich bin überhaupt nie wieder in den Süden gefahren, nicht weiter südlich als Florenz. Alles, was weiter südlich als Florenz lag, hat mir das Herz abgewürgt. Einmal, nach meinem ersten Studienjahr, bin ich nach Rom gefahren, mit einem Mann, der sagte, er liebe mich. Ich schlief mit ihm, er muss ja nicht wissen, dachte ich, dass das ganz gleichgültig ist. Das Licht, das in Rom war, schmerzte mich.
    Dass ich zum Vater wollte, das weiß ich noch. Ich hatte den Vater nicht gesehen, seit einem Jahr nichts von ihm gehört. Ruf mich zurück, sagte ich auf seinen Anrufbeantworter, bitte. Es ist, weil, sagte ich auf seinen Anrufbeantworter, ich weiß nicht, wie ich weiterleben soll, bitte, sagte ich, bitte ruf mich zurück. Er hat nicht zurückgerufen, nicht in dieser Nacht, nicht am nächsten Tag, nicht an irgendeinem der Tage, die dann kamen.

    Am Abend sind wir vom Bülbüldag zurückgefahren, in blauen Schatten. Ich war müde, aber mein Kopf war leicht. Wir waren schon fast wieder in Selçuk, da hat mich der Vater gefragt, sein Blick war auf der Straße, was ist das mit Hubert und dir?
    Was soll sein?
    Da ist doch was, hat der Vater gesagt, die Leute reden.
    Was reden die Leute?, fuhr ich auf. Seit wann kümmerst du dich darum, was die Leute reden.
    Ich will wissen, ob es stimmt, was sie reden.
    Weil ich so erschrocken war, so überrascht auch, weil da eine Schärfe war, die ich nicht ertrug, als hätte er mich geschlagen, also sagte ich, sehr zornig, wir reden, das weißt du, willst du mir das jetzt verbieten, ist das ein Verbrechen? Ich darf doch reden, mit wem ich will. Oder bestimmen das jetzt die Leute?
    Ist ja gut, hat der Vater gesagt.
    Ich dachte, du vertraust mir.
    Das tu ich, sagte der Vater, jetzt sah er mich an, das tu ich.

    Die Musen, hat mir der Vater erzählt, als ich ein Kind war, die Musen haben im Gewand von Bienen die Kolonisten vom griechischen Mutterland nach Ionien begleitet. Auf ihrem Kleid, siehst du, hat er gesagt und mir Detailaufnahmen der Artemisstatue gezeigt, marmorweiß, auf ihrem Kleid ist auch die Biene dargestellt, als Symbol des Lebens, der göttlichen Fruchtbarkeit. Aber, er wiegte den Kopf, ihr Stachel, sagte er, bringt den Tod. Weißt du noch, was man den Toten für den Höllenhund Kerberos mitgegeben hat? Honigkuchen, sagte ich.
    Immer ist die Göttin vieles, hat der Vater gesagt. Immer ist sie das Eine und das Andere, das Eine und sein Gegenteil. Kraft und Mut des Löwen, seine Treue, seine Wachsamkeit, die Wildheit und dämonische Kraft des Panthers und Fleiß und Süße der Biene, die den Tod bringt. Der Begleiter der Göttin ist der Damhirsch, sein weißgeflecktes Fell ist ein Abbild des Sternenhimmels, und Artemis ist die Mondgöttin, sanft und blutigrot. Sie kommt von weither, sagte der Vater, viel älter noch als die Ionier war der Kult der ephesischen Artemis.
    Pausanias, sagte ich, das hat Pausanias gesagt.
    Lygdamis zerstörte um die Mitte des 7. Jahrhunderts ihr Heiligtum mit einem Heer pferdemelkender kimmerischer Männer.
    Kallimachos, sagte ich, so steht das bei Kallimachos. Pferdemelkende kimmerische Männer, die den Tempel der Göttin zerstörten. Oder war es Artemis, die die Zerstörung ihres Heiligtums durch die wilden kimmerischen Männer verhinderte? Was war die Wahrheit? Und wie hatte ich mir pferdemelkende kimmerische Männer vorzustellen?
    Der Megabyzos, sagte der Vater, ein hochrangiger Priester. Er zeigte mir das Bild einer Elfenbeinfigur, die sah aus wie die Chinesen in meinen Bilderbüchern. Kein Chinese, der Vater lächelte, Priester und Generaldirektor der Bank von Ephesos. Eine Zeit lang glaubte man, das wäre ein

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