Sommer in Ephesos
Dort wartete ich, bis ich in den Bus einsteigen konnte.
Ich esse im Hotel eine Kleinigkeit, sagte ich, als ich im Grabungshaus ausstieg, wartet nicht beim Abendessen auf mich.
Ruh dich aus, sagte der Vater.
Auf der Straße kam mir der Bus vom Artemision entgegen. Hubert saß am Steuer, er hob die Hand. Ich reagierte nicht.
Ich wollte Sie immer schon kennenlernen, hat Huberts Frau gesagt, als wir uns in Bozen an ihren Tisch setzten. Sie strich sich durch das lange dunkelblonde Haar, fingerte an ihrer schmalen Goldkette. Sind Sie auch auf Urlaub?, fragte Friedrich, nein, sagte Huberts Frau, wir leben hier. Mein Mann leitet das Museum, ich habe eine Anwaltskanzlei, wie lange sind wir schon hier, Hubert?, fragte sie. Es müssen schon zehn Jahre sein, unser zweiter Sohn ist hier geboren, das verbindet einen mit dem Land. Ich komme aus Kärnten, sagte sie, vielleicht hört man das noch, und Hubert ist Wiener, aber unsere Kinder, sie lachte, was sind unsere Kinder, Hubert? Südtiroler, Italiener, doch Österreicher auch. Ich bin gerne hier, sagte Huberts Frau. Friedrich fragte nach den Kindern, zwei Buben, sagte sie, zwölf und zehn. Max wird im September zehn, und Gregor ist Ende Juli zwölf geworden.
Zwölf, sagte ich, etwas tanzte in meinem Kopf, zwölf und zehn, schön.
Die Buben sehen ihrem Vater sehr ähnlich, Huberts Frau strahlte, und sie haben auch seine Leidenschaft für die Archäologie, der Ältere jedenfalls. Max können im Moment nur Pferde wirklich begeistern. In den Ferien sind sie immer ein paar Wochen bei den Großeltern in Kärnten, die haben ein Gestüt. Morgen fahren wir übrigens nach Kärnten, ist das nicht ein Zufall, dass wir uns noch getroffen haben? Morgen wären Sie nicht mehr hier und wir wären auch schon weg.
Ja, sagte ich, so ein Zufall.
Der Kellner kam, wir versenkten uns in die Speisekarten. Wenn Sie hier in der Gegend sind, sagte Huberts Frau, da müssen Sie unbedingt einen Abstecher ins Sarntal machen, oder nach Jenesien. Waren Sie auf dem Ritten?
Wir wollten noch ins Italienische hineinfahren, sagte Friedrich, aber vielleicht, er sah mich an, was meinst du?
Du bist also Direktor, sagte ich zu Hubert, Museumsdirektor, schau an.
Hubert räusperte sich. Er war älter geworden, er hatte graue Haare an den Schläfen, nicht viele, aber doch, und in seinen Augen war etwas Müdes. Früher hätte mich das geschmerzt.
Im Südtiroler Archäologiemuseum, sagte er, das hat sich so ergeben.
So, sagte ich, hat sich das so ergeben. Dann betreust du ja jetzt wohl den Ötzi, richtig.
Ja, sagte Hubert. Er räusperte sich wieder. Die Mumie ist die Hauptattraktion des Museums. Wir haben aber, und das ist für mich der eigentliche Schwerpunkt des Museums, selbstverständlich reiche Funde aus der Geschichte Südtirols, und die verweisen auf eine Einbindung in eine größere Welt, das ist ein Kosmos, der sich auftut, der über die Region hier hinausgeht. Das ist nicht unähnlich dem, er zögerte, wie es in Ephesos war. Natürlich ganz anders und in einem viel kleineren Rahmen, aber es ist etwas, das mir gefällt an diesem Museum. Ich kann dich gerne, wenn du, er sah auf die Uhr, wenn ihr euch das Museum anschauen wollt.
Das ist sehr freundlich, sagte Friedrich, aber wir fahren heute noch weiter.
Wie kommt es, dass du hier gelandet bist? Ich lachte. Wolltest du nicht Karriere machen in Ephesos, was ist passiert? In Huberts Augen flackerte etwas, ich lehnte mich zurück. Weißt du, sagte ich zu Friedrich, Hubert war einmal so etwas wie ein Wunderkind der Archäologie. Das warst du doch, ein Hoffnungsträger, hat mein Vater gesagt, und ehrgeizig, das warst du, Hubert, oder nicht, ehrgeizig. Dass du jetzt hier gelandet bist, ich schüttelte den Kopf.
Täuschen Sie sich nicht, sagte Huberts Frau. Das ist hier kein Provinzmuseum, und Hubert hat sich noch weiter bemüht, das Museum zu öffnen, Kontakte zu knüpfen. Nächstes Jahr findet in Bozen der internationale Archäologenkongress statt, das ist in erster Linie Huberts Verdienst. Selbst Ihr Vater, sagte Huberts Frau, selbst Ihr Vater hat das anerkannt, das ist doch so, Hubert?
Mein Vater, sagte ich, was hast du mit meinem Vater zu tun?
Hubert zuckte die Schultern. Ich bin ihm vor ein paar Jahren begegnet, zufällig, denke ich, oder auch nicht zufällig, seitdem höre ich manchmal von ihm. Nicht viel, manchmal kommt eine Anfrage, oder er weist mich auf etwas hin, Fachliteratur. Manchmal bitte ich ihn, wenn ich bei etwas nicht recht weiterweiß,
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