Sommer in Lesmona
unglücklichen
Matti
Bremen, den 26. Januar 1895
Liebe einzige Bertha!
Es war gut, daß Deine Mutter mich heute
früh kommen ließ, um mit mir über Dein Kranzbinden zu reden. Es riß mich aus
meinen schrecklichen Gedanken weg, und ich bin immer froh, wenn ich etwas für
Dich tun kann.
Also Deine Hochzeit ist nun Mitte März,
und dann ist ein Tag vorher das Kranzbinden bei mir. Deine Mutter hatte die
Liste: der kleine Kreis sind 18 Personen — mit dem können wir unten bleiben.
Der größere Kreis wären 30 Personen, und wir müßten in die erste Etage — Saal
etc. Meinen Eltern ist beides recht, überlege es Dir mit John.
Ich warte mm sehnsüchtig auf Deine
Antwort wegen gestern, und ob Du mich verurteilst, daß ich ihn zu mir
heraufkommen ließ. Man tut im Moment aber doch immer das, was einem innerlich
befohlen wird, und ich konnte nicht anders.
In inniger Liebe
Deine Matti
Bremen, den 27 Januar 95
Liebe einzige Bertha!
Ein Unglück kommt selten allein, und
nun ist etwas ganz Schreckliches über mich gekommen. Du weißt doch, wie
furchtbar es mir von jeher gewesen ist, daß die Eltern einfach ihre Pläne ohne
mich machen und daß ich wie ein Paket hierhin und dorthin geschickt werde. Nun
stelle Dir folgendes vor: Beim Frühstück liest Papa die Post, und dann sagt er:
«Ich habe nun mit Mama alle Pläne festgelegt. Also gleich nach Berthas Hochzeit
fährst du nach London — Onkel Christian und Tante Ellen schreiben mir ganz
reizend, daß sie sich sehr darauf freuen. Dann kommst du nach 9 oder 10 Wochen
zurück, und dann wird deine Verlobung hier veröffentlicht, da Dr. Betberg ja
scheinbar den Winter in Dresden gut übersteht. Henry Deetjen bringt dich nach
London, er muß hin, und das Datum ist ihm einerlei. Mama und ich fahren an den Genfer
See.» Ich war ganz versteinert, und schließlich sagte ich: «Könnte ich denn
nicht zum letzten Mal mit euch in die Schweiz, bitte, nehmt mich doch mit, ich
möchte jetzt nicht nach London.» Papa war gleich sehr böse und sagte: «Du hast
früher durchaus nach London gewollt, um Englisch zu lernen und um Bercks zu
besuchen, und nun plötzlich hast du wieder eine andere Idee, daraus wird aber
nichts. Du kannst ja auch Eugenes wegen nicht nach Vevey, was du doch selbst
immer gesagt hast.» Ich: «Aber wir könnten doch dann nach Lugano oder
sonstwohin.» Papa, sehr aufgebracht: «Ich kann dich überhaupt nicht mehr
verstehen, du hast doch früher durchaus nach London gewollt und immer betont,
du wolltest Eugene nicht wiedersehen — er würde ja auf alle Fälle auch nach
Lugano kommen — also ist es ausgeschlossen. Wir haben schon unser Logis
im Hotel du Lac bestellt.»
Voller Graus malte ich mir aus, was es für eine Szene würde, wenn ich jetzt sagte, ich wollte Percy heiraten und
Rudi verabschieden!! Nicht auszudenken! Auch Mama sagte, daß sie meine Launen
nicht verstehen könne. Sie haben ja recht — da sie nichts wissen.
Liebste Bertha, ist es nicht ganz
furchtbar? Percy ist fortwährend bei Bercks, er ist da Kind im Hause.
Deine ganz verzweifelte
Matti
Bremen, den 28. Januar 1895
Liebe einzige Bertha!
Eben kommt Dein Telegramm, daß Du
früher zurückkommst. Ich weiß, daß Du meinetwegen kommst, und schreibe Dir
rasch nochmal, ob Du auch John und Deinen Schwiegervater damit nicht
verstimmst, das wäre doch furchtbar. Dein Telegramm hat mich schrecklich gerührt.
Deine dankbare
Matti
22. März 1895
London S. W. 10
4, Kensington Gardens
Liebe einzige Bertha!
Oft denke ich in diesen Tagen, daß ich
von einem Strudel erfaßt bin. Dein Kranzbinden bei uns, mit all den Proben
vorher, — Deine Hochzeit, — die Reise hierher und nun London! Du ahnst nicht, wie schrecklich der Abschied von Dir war! Da Ihr nur mich allein mit an den Wagen
nehmen wolltet und der Abschiedskuß an Euch beide nur eine Sekunde dauerte,
erschrak ich, als die Wagentür zuflog und als der Wagen blitzschnell wegfuhr
und ich dann plötzlich ganz allein auf der Straße stand. Ich fror entsetzlich
in meinem weißen Kleid, aber nicht nur äußerlich! Du sähest so bezaubernd aus
in Deinem Brautkleid und auch nachher im braunen Reisecostume und braunen Hut!
Wie wunderbar war Pastor Portigs Predigt! — unsere ganze Kindheit stand wieder
auf. Am schönsten waren für mich die herrlichen Worte, die er über unsere
Freundschaft sagte, die wie ein Stern über unserem Leben geleuchtet hätte. Ich
ging schon um 11 weg und habe vorher noch allein an
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