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Sommer in Lesmona

Sommer in Lesmona

Titel: Sommer in Lesmona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalene Marga; Pauli Berck
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plötzlich holt er noch einen Brief aus
der Tasche, und das war Deiner an ihn, von dem ich nichts ahnte. Durch diesen
Brief von Dir war die Vernunft über ihn gekommen. Er schiebt mir bei diesem
ganzen Schicksal keine Schuld mehr zu, er zürnt mir nicht mehr, und das
ist das Glück dieser letzten Tage. Er hatte mich die drei Stunden in seinen
Armen, und wir suchten immer beide noch nach einem Ausweg. Ich zeigte ihm, daß
ich sein Armband immer an einem seidenen Faden um den Hals trage, und er hat es
geküßt. Dann holte er aus seinem Portefeuille ein gedrucktes kleines Blatt und
sagte: «Sieh mal, das habe ich mir aus einem deutschen Buch ausgeschnitten, es
paßte so fabelhaft für die ersten Wochen, als du in London warst.» Ich las
folgenden Vers:
     
    «Wenn
Du verraten mich am Tage
    Und
wenn Du nicht an mich gedacht,
    Was
kommst Du, weinend dann, o sage,
    Im
Traume zu mir jede Nacht?»
     
    «Jede Nacht träumte ich, daß du
weintest und zu mir kämst, und am Tage wußte ich, daß du mit einem anderen
verlobt bist.» «Ja», sagte ich, «es ist richtig, ich weine jede Nacht und denke
an dich.»
    Aber drei glückliche Stunden gehen
rasch vorüber, und wir mußten kurz vor 1 nach oben. Als wir den Hügel
heraufkamen, kam Mary uns entgegen. Sie sagte: «Habt ihr euch nun wirklich
vertragen? Are you not angry with her anymore?» Er nahm sie auf den Arm und
sagte: «Now everything is allright, I can’t be angry with her, wir haben uns zu
Ostern vertragen.» Sie sagte sehr glücklich: «Allright, I see, you made
thoroughly up.»
    Nun ist er abgereist, und ich lebe ganz
mit den Kindern, und Dir verdanke ich das Glück, daß er mich jetzt versteht. Auch John danke ich für seinen lieben, guten Brief.
    In Liebe ist immer bei Euch
    Eure Matti
     
    PS.
    Denke nicht, daß ich jemals Rudi
gegenüber ein schlechtes Gewissen hätte. Nein — nicht die Spur! Ich weiß und
fühle, daß er noch ganz andere Erlebnisse hat. —
     
     
    Greenhill, April 95
    Liebe liebste Bertha!
    Nun muß ich Dir noch von einem
Zwischenfall erzählen. Weißt Du noch, wie wir beide in Darneelen durchaus den
Morgenstern sehen wollten und früh um 5 den Weg zum Dammsberg heraufliefen, ihn
da sahen und ganz berauscht waren? Daran mußte ich in Greenhill denken, als wir
Ostermontagabend Percy zur Bahn brachten und den Abendstem sahen. Du weißt
doch, daß er derselbe ist wie der Morgenstern? Ich schlief die Nacht sehr
wenig, und früh vor 5 hatte ich so große Sehnsucht nach der Bank, auf der ich
gestern mit Percy drei Stunden gesessen hatte, und ich dachte es mir so
wunderbar, von dort den Morgenstern zu sehen. Ich zog mich rasch an und ging
ganz leise hinunter, schloß unten die Tür auf, lief hinunter zum Gehölz und saß
ganz berauscht auf unserer Bank. Es war ein ganz großes Erlebnis. Alles war
totenstill in der Natur und der leuchtende Stern am Himmel! Es war noch
dämmerig und eine ganz herrliche Luft! Ich dachte an Gott, der unsere Wege
führt, und dann dachte ich an Dich und an Percy — alles sah anders aus als am
Tage, und mir fielen lauter Dinge ein, an die ich noch nie gedacht hatte: daß
die Bäume, die Blumen, die Gräser, die Sträucher — alle Wunder der Sterne, des
Mondes und des Sonnenaufgangs miterleben und genießen — während die Menschen
schlafen. Zum ersten Mal kam ein dunkles Gefühl von Ewigkeit in meine Seele und
von den großen Geheimnissen, die uns umgeben und von denen wir nichts wissen.
Ich kam mir so klein vor wie ein Wurm in all der Herrlichkeit, aber das Leid um
Percy blieb doch in meinem Herzen, und ich dachte an den Vers:
     
    «Auch
des Verirrten denket
    Der
Hirt auf hoher Wacht.
    Wirf
ab, Herz, was Dich kränket
    Und
was Dir bange macht.»
     
    Da fing ich an zu frieren und lief wieder
hinauf. Gottlob hat es keiner gemerkt.
     
    Mai
    Nun sind wir wieder in London, und ich
soll noch viel sehen. Tante Ellen fährt nachher mit mir nach Deutschland
zurück, und zwar wollen wir Ende Mai abreisen, dann war ich hier über neun
Wochen. Nun sehe ich Percy noch drei Mal an drei Sonntagen. Wir haben ja wenig
von einander, und doch ist es ein solches Glück, wenn er, wie gestern, für mich
am Flügel sitzt und singt und spielt. Im Hause sprechen alle Englisch, nur mit
mir noch viel Deutsch. Ich verstehe jetzt fast alles und fange langsam an, zu
sprechen. Morgens, ehe ich heruntergehe, gehe ich stets in die nursery. Das ist
was ganz Bezauberndes! Die zwei kleinen Mädchen sitzen am Tisch und frühstücken
mit Nurse, sie

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