Sommer in Lesmona
Handkoffer im cab hätte ausrücken wollen, wenn
Tante Ellen einmal fort gewesen wäre? Ja, so ähnlich hatten wir es gedacht, und
ich war nicht sehr weit davon entfernt, denn jetzt, wo Rudi weit weg ist, hat
seine Macht doch aufgehört. Aber dann kommen die Gedanken an den furchtbaren
Aufruhr hier! Die Empörung von Onkel Christian und Tante Ellen, denen ich
anvertraut bin und die Percy wie ihren Sohn lieben— — —
Ja, wir haben so viel hin und her
geredet, und wir hatten beide den Kopf verloren. Jetzt wissen wir nur noch, daß
wir uns lieben, aber wir haben uns dem Schicksal ergeben.
In großer Liebe
Deine Matti
London, Montag, Mai
Liebe Liebste —
Daß Du mir in diesen schrecklichen
letzten Tagen täglich schreiben willst, ist wieder so engelhaft gut von Dir.
Vorgestern, Sonnabendabend, war es für ihn und für mich so schrecklich und so
schön. Denke Dir, Bercks hatten innerhalb von einer Woche eine kleine
dancing-party arrangiert. Es waren im ganzen 10 junge Paare und zwei alte. Eine
englische Freundin spielte am Klavier und dazu eine Geige. Onkel Christian
hatte plötzlich gesagt, ich müßte einmal bei ihnen tanzen. Ich hatte das
hellblaue Ballkleid an. Zuerst war ein Souper an vier kleinen Tischen, es waren
Engländer und Deutsche und die Jugend, die Percy fast alle von Kindheit an
kennt. Die Mädchen waren alle sehr elegant. Als Percy mich gleich zum ersten
Walzer holte, sagte er: «So, Daisy, jetzt ist mir alles ganz einerlei,
meinetwegen können Bercks und alle es jetzt merken. Diesen Abend will ich nur
mit dir zusammen sein.» Er fragte: «Willst du den Walzer von Lanner und die ‹G’schichten
aus dem Wiener Wald› haben?» Ich sagte: «Nein, das tut zu weh.» Da drückte er
mich fest an sich. Wir tanzten schöner denn je und immer nur wir beide, und wir
dachten an den Volksball in Vegesack und an den Abend bei Hillmann nach dem
Rennen und an Nizza. Es war ein solcher Rausch und dabei der
Abschiedsgedanke in der Kehle.
Nach einigen Tänzen — meistens Boston —
lief Percy mitten in den Saal, er rief ein englisches Wort, das ich nicht
verstand, und klatschte dazu in die Hände. Dann sah ich zu meinem Erstaunen,
wie Percy durch den großen Eßsaal kam, zwei Mädchen am linken Arm, zwei am
rechten, und eine hatte hinten seinen Frackschoß in der Hand. Er lief rasch zu
mir und sagte: «Daisy, dies ist Damenwahl, wen nimmst du denn?» Ich sagte,
etwas verstört: «Dich natürlich, aber ich habe ja wenig Chance.» Er nahm mich
sofort in den Arm, und wir tanzten los. Nun hatte ich Angst, daß Tante Ellen
und Onkel Christian ärgerlich wären, wenn er mir so ausgesprochen die Cour
machte, und ich sagte es ihm. Percy antwortete: «Wenn du es mir jetzt nicht
ausdrücklich verbietest, küsse ich dich hier unterm Kronleuchter, denn mir ist
alles ganz einerlei.» Nachher kam ein Cotillon mit Blumen, die Mary
herumreichte. Sie sagte zu Percy und mir, mit ihrem kleinen witzigen, süßen
Ausdruck: «Ihr habt euch aber gründlich vertragen.» Natürlich kamen auch aus
Höflichkeit die anderen jungen Leute, um mit mir zu tanzen, aber meistens
tanzte Percy vorher mit mir weg. «Weißt du noch?» fragte er fortwährend. «Siehst
du», sagte er, «die Erinnerung kann uns niemand nehmen, und das ist etwas, was
wir beide wissen.»
Als alle weg waren, blieben Onkel
Christian, Tante Ellen, Percy und ich in der großen Nische am Kamin sitzen, und
Onkel Christian ließ eine Flasche Sekt kommen. Er war so taktvoll, nichts von
meiner bevorstehenden Verlobung zu sagen, denn er hatte sicher gemerkt, daß
zwischen Percy und mir mehr war als nur eine Freundschaft. So tranken
wir auf ein gutes Wiedersehen, und plötzlich verlor ich die Nerven und fing an
zu weinen. Onkel Christian, neben dem ich saß, zog mich sofort an sich und fing
natürlich auch an zu weinen, worüber Tante Ellen lachen mußte, so daß sie mich
mitriß. Onkel Christian kann keine Tränen sehen. Mein kleines
Spitzentaschentuch war aber doch naß, und Percy kam, stellte sich vor mich,
ließ das kleine Tuch rasch in seiner Hand verschwinden und sagte dann laut:
«So, Daisy, nimm mein Taschentuch, es ist ganz rein.» Das habe ich auch
behalten und lasse es nicht von mir.
Der folgende Sonntag war wahnsinnig
melancholisch. Percy kam zum Lunch und blieb bis abends, aber wir waren halb
tot vor Kummer. Nun kommt noch die Oper und Mittwoch die Abreise nach
Deutschland. Ich schreibe Dir dann darüber aus Bremen. Jetzt habe ich hier noch
so viel zu tun.
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