Sommer in Lesmona
uns getrennt,
und schon wieder sitze ich und schreibe. Nachdem ich Euch am Bahnhof Adieu
gesagt hatte und der Zug wegfuhr, hatte ich wieder dieses schreckliche Gefühl
der Verlassenheit. Ich ging zu Rena, um Rudi dort für einige Besuche abzuholen.
Dann gingen wir zuerst zu Frau Quentell. Auf der Contrescarpe sagte er: «Dein
weißes Kostüm ist so provozierend ‹Braut›.» Er sah mich so mißbilligend an, daß
sich alles in mir sträubte. Ich sagte, es sei ein Kostüm, das ich im Sommer
immer an kühlen Tagen trüge, und es hätte mit «Braut» nichts zu tun, aber wenn
er sich mit mir genierte, könnte ich ja nach Haus gehen. Wir sollten heute bei
seinem Vater essen, ich hatte aber solche Wut in mir, daß ich sagte, er möge
mich bei seinem Vater entschuldigen, ich hätte Kopfschmerzen. Er ging also
weiter und ich zurück nach Haus. Den erstaunten Eltern sagte ich, ich hätte
Kopfweh. Wir hatten nachmittags zusammen einen stillen Spaziergang machen
wollen, d. h. ich hatte das vorgeschlagen, er kam aber so spät zu uns, daß es
sich nicht mehr lohnte! Abends waren wir dann, Gottseidank, noch nett und
friedlich beieinander.
Ich danke Euch innigst, daß Ihr die
drei Tage bei mir wart und mir von Eurer Kraft abgegeben habt. Es schien mir in
Eurer Nähe alles leichter zu tragen.
In dankbarer Liebe
Eure Matti
Bremen, den 19. Juni 95
Mein lieber Engel!
Rudi ist nun weg, und eben kam Dein
erschütternder Brief. Ja, es ist ein Gnadengeschenk, daß ich Dich habe.
Mama ist es recht, wenn ich am 22. zu
Euch fahre, ich soll dann am 30. nach Schwalbach. Weißt Du, daß ich dann
innerhalb von 4 Wochen zweimal bei Euch in Hannover war?
Auf Wiedersehen!
Deine Matti
Langen Schwalbach, den 4. Juli 95
Villa Eugenie
Meine liebe Einzige —
Daß ich so lange bei Euch sein durfte,
war doch zu schön, und ich habe jetzt wirklich mehr Ruhe und Kraft. Ich danke
Euch innigst für alle Liebe!!! Wir gehören so unbedingt zusammen und verstehen
uns mit einem halben Wort! Meinem Versprechen gemäß . bin ich nun — soweit ich
kann — lieb und gebe mir Mühe, mich zu erholen. Ich habe es auch nötig, denn 12
Pfd. abnehmen, ist ja ganz viel. Der hiesige Arzt fragte, ob ich seelische
Aufregungen gehabt hätte, da sagte ich: «Nein, keinerlei.» Ich werde doch so
einem fremden Affen keine Confidenzen machen. Nun muß ich hier baden und Stahl
trinken. Gretchen Schröber ist ganz furchtbar nett und genau das Richtige für
mich. Sie war 15 Jahre bei meinen Großeltern Struve als Gesellschafterin in
Dresden und erzählt mir so viel von ihnen. Wir gehen viel spazieren, und ich
gebe mir alle Mühe, nicht zurückzudenken. Aber ich habe doch eine Wunde im
Herzen, und daran ist wohl nichts zu ändern.
Daß ich später in Dresden Gretchen
Schröber vorfinden werde, ist ein ganz großer Trost. Sie lebt mit ihren
Geschwistern zusammen. Die Leute hier in der Pension sind meistens Rheinländer,
aber wir leben ganz für uns!
Mit Rudis Briefen ist es immer
dasselbe, er kann wohl nicht mehr Gefühl aufbringen. Für mich war es schlimm
und schön, daß ich kurz vorher Percys große und heiße Liebe gehabt habe. Ich
höre natürlich nichts von ihm.
Nun lebt wohl und seid geküßt
von Eurer dankbaren
Matti
Langen Schwalbach, den 14. Juli
Meine liebe, liebe Bertha!
Wir leben hier wirklich wie Einsiedler.
Ich darf auch kein Tennis spielen. Wir haben einen netten Balkon vor meinem
Zimmer, und darauf liege ich viel und sehe ins Grüne. Aber denke Dir, ich werde
aufgeregt, wenn Gretel nicht bei mir ist. Dann kommen sofort die Gedanken— — —
Auch nachts muß die Tür zu ihr auf
sein. Nun wollt Ihr also nach Darneelen und nachher noch etwas reisen. Das wird
Euch guttun. Wir waren gestern in Schlangenbad, was ich aber nicht mochte! Ich
schreibe Dir von hier seltener, mein Engel, weil ich nichts zu schreiben habe! Deine Briefe sind meine ganze Freude!
In großer Liebe
Deine Matti
Langen Schwalbach, den 21. Juli 95
Sonntag
Meine liebe einzige Bertha!
Für Deine zwei letzten Briefe und das
Paket mit Büchern und Choco tausend Dank!! Ich genieße beides sehr und habe
«Die Ahnen» schon angefangen. Gretchen sagt oft, ich wäre «apathisch». Das Wort
habe ich erst von ihr gelernt, aber es stimmt, mir ist so ziemlich alles
einerlei. Anna Quentell und Elschen schreiben Dir ja selbst, deshalb brauche
ich Dir aus ihren Briefen nichts zu erzählen. Was für ein Glück, daß ich
niemandem etwas von Percy erzählt habe.
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