Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Maggie und Chris war ja sowieso nur das Schlimmste zu erwarten, schließlich gehörten sie zu Kathleen.
»Du bist nicht böse?«, fragte Maggie.
»Nein«, sagte Alice.
»Weil Maggie nicht zu deinen Goldenkeln gehört, stimmt’s?«, fuhr Kathleen ihre Mutter an. »Wie kannst du einfach dastehen und sagen: ›Das ist schon in Ordnung, Schätzchen. Weiter so, krieg dein Kind‹?«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach sagen?«, fragte Alice. »Dass sie ein Flittchen ist, wie ihre Mutter? Dass sie nicht einen Funken Menschenverstand hat und soeben ihre Chancen auf eine Schriftstellerkarriere im Klo runtergespült hat?«
Jetzt griff sogar der Pfaffe ein: »Alice«, stieß er hervor, als hätten ihre Wort ihm körperliche Schmerzen verursacht.
Kathleen ballte die Hände zu Fäusten.
»Nichts davon ist wahr. Du entschuldigst dich sofort, oder wir gehen.«
»Ich denke gar nicht daran.«
»Dich kann man nur hassen. Mein Gott, ich bin erst seit ein paar Stunden hier und könnte dich schon erwürgen.«
Alice wurde lauter: »Weißt du eigentlich, was ich alles aufgegeben habe, um euch eine gute Mutter zu sein?«
»Ach ja, sonst wärst du ja eine große Malerin geworden«, schrie Kathleen. »Darf ich dir mal was verraten, Mama: Du warst kein großes Talent. Niemand hat dich von irgendetwas abgehalten. Das war doch nur ein dummer Traum, wie ihn jedes kleine Kind hat. Jammer, schluchz, ich bin nicht Astronautin geworden.«
»Bitte hör auf«, sagte Maggie leise. »Du bist grausam.«
Ja, vielleicht schon, aber sie hatte doch nur Maggie beschützen wollen.
Jetzt wandte Kathleen sich zu Ann Marie: »Vielen Dank auch für die Einmischung.«
»Falls es dir entfallen sein sollte: Ich gehöre seit fünfunddreißig Jahren zur Familie«, gab die zurück.
»Na, dann herzlichen Glückwunsch! Dafür verdienst du einen Orden«, konterte Kathleen.
»Ich erwarte wirklich nicht viel«, sagte Ann Marie. »Ich bin immer zur Stelle, um mich um sie zu kümmern, während du in Kalifornien den Traum deines komischen Partners auslebst. Und was ist der Dank? Du hast es seit unserer ersten Begegnung auf mich abgesehen, gib’s doch zu. Du denkst doch bis heute, dass ich für deinen Bruder nicht gut genug bin. Und wie ich mit deiner Mutter umgehe, gefällt dir auch nicht. Also bitte: Da hast du sie zurück. Ich kümmere mich jetzt nicht mehr um sie.«
Und mit diesen Worten stürmte sie aus dem Haus. Alle Blicke folgten ihr. Sie stieg in den Mercedes und fuhr mit hoher Geschwindigkeit die Einfahrt hinauf. Kathleen erinnerte sich jetzt daran, dass man in Maine den Autoschlüssel steckenließ, um zu betonen, wie unglaublich sicher es hier war. Aber war es wirklich so schwer, einen Schlüssel aus der Tasche zu ziehen, bevor man irgendwo hinfuhr?
»Sollte sie in diesem Zustand Auto fahren?«, fragte Maggie.
»Nein«, sagte Kathleen.
»Ich brauche einen Cocktail«, sagte Alice. Dann lächelte sie Maggie zu: »Ach deshalb hast du nicht mit uns getrunken. Na ein Glück.«
Der Pfarrer trat von einem Bein aufs andere: »Es tut mir so leid, dass ich Ihnen Probleme bereitet habe. Sollten wir nicht später mal darüber sprechen, Alice?«
Alice tat, als hätte sie ihn nicht gehört: »Hoffentlich kommt sie nochmal zurück, um sich von mir beruhigen zu lassen.« Als wäre Alice für ihre beruhigende Art bekannt. »Kommen Sie, Pfarrer Donnelly, ich bringe Sie zum Auto. Sie haben für heute sicherlich genug von meiner verrückten Familie. Es tut mir leid, dass Sie das miterleben mussten.«
Die beiden gingen davon, und Kathleen sagte zu Maggie: »So viel familiäre Unterstützung und Wärme: Wird dir das nicht zu viel?«
Maggie nickte: »Eigentlich ist es besser gelaufen als erwartet.« Sie machte eine kurze Pause. »Wusstest du das mit dem Haus?«
»Ach, wann hab ich denn je gewusst, was Alice im Schilde führt?«, fragte Kathleen.
»Meinst du, dass sie es wirklich der Kirche geschenkt hat?«
Da merkte Kathleen, dass ihre Tochter Angst hatte, ihre einzige Tochter, die sie mehr liebte als alles andere. Sie hockte sich hin und sprach mit Maggies Bauch: »Da hast du dir aber eine seltsame Familie ausgesucht, mein Kleines. Und sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Maggie lächelte, und Kathleen wünschte sich in diesem Augenblick, dass es so einfach wäre und dass sie das alles irgendwie akzeptieren könnte. Aber das konnte sie nicht. Sie wollte ihrer Tochter sagen, dass sie sich nicht vom Fleck rühren würde, bis Maggie zustimmte,
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