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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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hatte sie sich neu erfunden. Sie hatte eine schlechte Ehe beendet, war trocken geworden und hatte sich eine sinnvolle Arbeit gesucht. Und mit neunundvierzig hatte sie den zweiten Neuanfang gemacht, als sie Arlo kennenlernte. Jetzt war sie achtundfünfzig. Was sie wohl als nächstes tun würde? Das war eine Lektion, die sie Maggie gerne früher beigebracht hätte: Wenn Du dich nicht leiden kannst, dann mach etwas Neues aus dir. Wenn man kleine Kinder hatte, war das allerdings nicht mehr so einfach.
    Kathleen wünschte sich, dass auch ihre Mutter das begreifen würde, aber Alice war zu alt und bitter, um noch etwas zu lernen. Sie zog es vor, in ihrem eigenen Saft zu schmoren. Sie hatte seit Daniels Tod keinen Mann an sich herangelassen, was Kathleen andererseits auch erleichterte.
    Es war seltsam, jetzt darüber nachzudenken, aber Kathleen war sich ziemlich sicher, dass ihre Eltern sich bis zum Ende geliebt hatten. Oben am Ende der Briarwood Road hatte ihr Vater die Initialen A.H. in eine alte Pinie geritzt. (Im Rausch hatte Kathleen ihren Kindern einmal erzählt, dass es ihrer Mutter galt und für Alte Hexe stand.)
    Alices Haus . Sie stellte sich ihre jungen, verliebten Eltern vor, sorglos in eine rosige Zukunft blickend.
    Plötzlich hörte Kathleen Schritte hinter sich. Sie ballte die Fäuste. Lass es einen gnadenlosen Serienmörder sein, aber bitte nicht Ann Marie.
    Sie drehte sich um.
    »Hallo«, sagte sie kurz.
    »Guten Morgen«, antwortete ihre Schwägerin. »Weißt du, wo Alice ist? Für die Kirche ist es noch etwas früh.«
    »Keine Ahnung«, sagte Kathleen. »Du hast doch bei ihr geschlafen. Ach herrje, oder ist das der erste Schritt deines ausgeklügelten Plans? Du tust so, als könntest du sie nicht finden, und in einer Woche entdecken wir ihre Leiche in deinem Kofferraum.«
    »Lass das. Ich mache mir Sorgen.«
    Offensichtlich war der Wahn von gestern vorübergezogen, und Ann Marie hatte sich schon wieder in die brave Hausfrau zurückverwandelt.
    »Die verrückte Ann Marie hat mir besser gefallen«, sagte Kathleen. »Gibt’s davon mehr?«
    Ann Marie schürzte die Lippen: »Lass uns sachlich bleiben, okay? Was ich gestern getan habe tut mir leid. In ein paar Tagen kommt Pat, und ihr reist ab. Dann haben wir alle die Gelegenheit, uns zu sammeln.«
    Plötzlich hatte Kathleen eine Idee, die Maggie wahrscheinlich für kindisch und boshaft halten würde: »Wie kommst du auf die Idee, dass wir abreisen?«
    Ann Marie starrte sie an: »In vier Tagen ist der erste Juli.«
    »Na und?«
    »Juli ist unser Monat.«
    »Und Juni ist meiner. Aber du bist ja auch hier, oder?«
    Ann Marie wurde panisch: »Wir haben Freunde eingeladen. Das Haus wird voll sein, Kathleen. Ihr könnt auf keinen Fall bleiben.«
    Kathleen grinste: »Das werden wir ja sehen.«

Alice
    A lice suchte sich einen Tisch in der Sonne. Das würde Pfarrer Donnelly sicherlich vorziehen. Wenn sie die Wahl hatten, wollten doch alle immer draußen sitzen, selbst in einem Lokal wie diesem. Hier saß man an der Hauptverkehrsader von Portland: Vorbeirasender Verkehr und Smog im Eierkuchen. Aber als der Kellner sie fragte: »Drinnen oder draußen?«, hatte sie ohne zu zögern geantwortet: »Draußen.«
    Der einzige Vorteil war, dass sie beim Warten rauchen konnte. Eigentlich war das nicht gestattet, aber bisher hatte sie niemand daran zu hindern versucht.
    Als Boston vor ein paar Jahren das Rauchverbot einführte, hatte sie sich die Reaktion ihres Vaters vorgestellt, wenn ihm jemand gesagt hätte, er müsse seine Zigarette ausmachen. Vermutlich hätte das in einer Prügelei geendet. Mit den Jahren wurde immer deutlicher, dass sie nicht wie andere Töchter nach ihrer Mutter, sondern nach ihrem Vater kam. Lieber ein jähzorniger Tyrann als eine passive Heulsuse, obwohl man als Heulsuse bessere Chancen auf Mitleid hatte. Bei Ann Marie funktionierte das jedenfalls ganz gut.
    Am Abend zuvor hatte Pfarrer Donnelly angerufen und sie gebeten, ihn noch vor dem Gottesdienst zu einem Gespräch zum Frühstück zu treffen. Er habe Bedenken wegen des Hauses. Alice hatte das Gefühl, ins Büro der Schuldirektorin zitiert worden zu sein: Alice Brennan, hast du oder hast du nicht die neuen Pastellkreiden gestohlen? Das würde ich niemals tun, Schwester Florence. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie sie in meine Jackentasche geraten sind.
    Normalerweise fuhren sie zum Essen nicht so weit, aber diesmal hatte Alice Portland vorgeschlagen. Es war in Maine der einzig annähernd

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