Sommer in Maine: Roman (German Edition)
zu ihnen nach Kalifornien zu ziehen und dort solange wie nötig zu bleiben. Aber dann fand sie, dass sie das auch noch später besprechen konnten. Denn augenblicklich herrschte so etwas wie Frieden.
»Darf ich dich jetzt ins Restaurant einladen?«, fragte Kathleen.
»Okay«, sagte Maggie, schaute mitleidig in den Topf köchelnder Tomatensoße und machte den Herd aus. »Das können wir auch morgen noch essen.«
»Los, verschwinden wir, bevor Alice zurückkommt.«
»Du bist so gemein, Mama.«
»Ach, jetzt kommt schon.«
Als sie spätabends zurückkamen, stand Ann Maries Wagen wieder in der Einfahrt. Entweder hatte sie sich mit Alice vertragen, oder sie würden am Morgen zwei Leichen im Neubau finden. Vom Schlafzimmerfenster des alten Sommerhauses aus konnte Kathleen in Alices Wohnzimmer schauen, sah aber nicht, ob einer der beiden da war.
»Wie schön, dass die ganze Familie versammelt ist und sich, wie immer, so blendend versteht«, sagte sie.
Maggie warf ihr einen Blick zu, der zu sagen schien, dass Kathleen an der Situation nicht ganz unbeteiligt sei. Ihre Tochter wünschte sich immer noch, zu den Kellehers zu gehören. Wieso nur?
Kathleen dachte an das große Festessen, das Arlo und sie jährlich am Dienstag vor Thanksgiving in Kalifornien gaben. Dazu luden sie alle Freunde von den Anonymen ein und servierten drei große Truthähne, Stampfkartoffeln, selbstgemachte Preiselbeersoße, Bohnenauflauf und Pasteten von der Kozlowski Farm. Außerdem brachte jeder Gast noch etwas Kleines mit. Maggie war ein paarmal dabei gewesen. Es waren lange, fröhliche Abende, an denen viel erzählt und gelacht wurde. Kein böses Wort wurde gewechselt. Für Kathleen war es der schönste Tag des Jahres. Zwei Tage später saß sie dann mit ihren Verwandten in Ann Maries Wohnzimmer und kam sich fremd vor, grub die Finger in das Sofapolster und sehnte sich zurück in ihr warmes, freundliches Heim in Kalifornien, zurück zu ihrer Wahlverwandtschaft.
Am nächsten Morgen wachte Kathleen früh auf und ging barfuß aus dem Haus, wie sie es als Kind immer getan hatte. Sie musste zugeben, dass Alices Garten tatsächlich sehr gut aussah. Das würde sie Arlo beim nächsten Telefonat erzählen.
Sie streckte das Gesicht in den sanften Regen und ging langsam zum Strand hinunter.
Kathleen hatte ganz vergessen, wie anders man das Wetter hier erlebte. In Maine waren Regen und Wolken kein Störfaktor, sondern eine willkommene Abwechslung, die einem die Gelegenheit gab, es sich mit einem Buch am Fenster gemütlich zu machen, ein Käsebrot zu essen und bis zum Nachmittag im Pyjama herumzulaufen. Man spürte die Luftfeuchtigkeit und konnte sehen, wie sie sich auf jeder Oberfläche absetzte. Man ging zum Strand hinunter und beobachtete ehrfürchtig die schäumende See, deren mannshohe Wellen sich am Ufer brachen, ließ sich vom Regen auf die Schultern klopfen und sah den Nebel näherziehen. Der Regenschirm war plötzlich eine absurde Erfindung.
Arlo würde diesen Ort sofort ins Herz schließen, und Kathleen fragte sich, ob sie vielleicht nur aus Sturheit nie in Betracht gezogen hatte wieder herzukommen.
In vielerlei Hinsicht war das vergangene Jahrzehnt das glücklichste ihres Lebens gewesen, obwohl sie vor zehn Jahren ihren Vater verloren hatte und geglaubt hatte, alles sei zu Ende. Aber dann hatte sie Arlo kennengelernt. Die Verliebtheit konnte sie nicht vergessen machen, was geschehen war. Nichts auf der Welt hätte das vermocht. Aber Arlo beschützte sie und wurde zu ihrem Vertrauten, wie Daniel es vor ihm gewesen war. Manchmal, wenn sie Arlo in die Augen sah, hätte sie schwören können, in ihnen einen Teil ihres Vaters zu sehen. Diese Art von Liebe wünschte sie sich auch für Maggie.
Seit sie mit Arlo zusammen war, war Kathleen überzeugt, dass ihre Ehe und die anderen enttäuschenden Beziehungen ihr nur den Weg zu ihm bereitet hatten. Es waren als Unglück getarnte Glücksfälle gewesen. Denn was wäre passiert, wenn sie Paul Doyle nicht verlassen hätte? Dann säße sie jetzt am südlichsten Rand Bostons mit einer Fettleber, neunzig Kilo auf der Waage und würde um sich keifen.
Als Paul damals die Affäre hatte, hatte Kathleen ihren Vater gefragt, ob Paul sich nicht irgendwie noch in einen guten Ehemann verwandeln könne.
»Also meiner Erfahrung nach«, hatte er geantwortete, »können Menschen sich ändern. Aber die meisten tun es nicht.«
Mit Paul hatte er recht gehabt. Aber Kathleen hatte sich verändert. Mit neununddreißig
Weitere Kostenlose Bücher