Sommer mit Nebenwirkungen
mit getrockneten Tomaten, Kapern und Tintenfisch oder eine wunderbar gebratene Seezunge aus der Küche. Das C&O-Assessment-Center war mit dem Restaurantchef und seinem Team inzwischen bestens bekannt, viele Geschäftsessen fanden in diesen Räumen statt. Auch die Gabeltests. Dafür deckte man einen bestimmten Tisch ein, der immer frei blieb; er stand leicht abseits, gut einsehbar für die Kellner, aber nicht für die anderen Restaurantgäste. Alle waren perfekt aufeinander eingespielt, die Kellner wussten genau, wann sie servieren, wann sie abräumen sollten. Eine feste Kulisse, das war sehr bequem für die Psychologen vom Assessment-Center. Ein Heimspiel.
Paul Grotemeyer benahm sich ausgesucht höflich. Er ließ ihr den Vortritt aus dem Fahrstuhl und hielt alle Türen auf dem Weg zur Italo-Kantine auf. Allerdings sprachen sie nicht viel, nur ein knappes »Bitte« und »Danke«. Er lauerte, sie lauerte. Trotzdem, die ganz große Anspannung fehlte bei ihm, Sophie spürte es. Die Art, wie sein Arm routiniert an ihr vorbeischoss, um kraftvoll die Tür aufzudrücken, wirkte ein bisschen zu forsch. Es ging schließlich um einen begehrten Job. Als Sophie im Fahrstuhl neben ihm stand, atmete sie seinen Geruch ein. Er roch sommerlich, nicht blumig, eher herb wie Gras oder ein abgemähtes Kornfeld an einem heißen Tag, wenn man mit geschlossenen Augen daliegt, weil die Sonne so sehr blendet, und man dem Summen der Insekten lauscht, während ein leichter Wind übers Gesicht streicht. Wieder schnellte Grotemeyers Arm nach vorne, um eine Tür zu öffnen. Kräftige Männerarme hatten Sophie schon immer gefallen. Sie kam auch allein gut klar, aber für einen Moment der Ruhe und Zuversicht war ein muskulöser Männerarm, der einen festhielt, unschlagbar.
Johann hat auch gute Arme, ermahnte sich Sophie.
Nun kamen Grotemeyer und sie beim Restaurant an. Toni, der Restaurantchef, erspähte sie und gab seinem Kellner ein ziemlich auffälliges Zeichen. Er hielt eine Gabel hoch. Sehr lustig. Das kann doch nicht wahr sein, ärgerte sich Sophie und merkte, dass Paul Grotemeyer den Gabelkalauer auch beobachtet hatte und verstohlen grinste. Nein, nein, so war das alles nicht gedacht. Ein bisschen aufgeregter musste der Kerl schon sein. Ob er sich doch eingelesen hatte? Natürlich konnten die Kandidaten sich auch auf den Gabeltest vorbereiten. In diversen Handbüchern standen einschlägige Tipps: Niemals Alkohol beim Mittagessen bestellen, denn das wirkt unprofessionell. Keine süßen Getränke wie Cola und Fanta, zu kindlich. Den Rucola-Salat unbedingt vermeiden, da die Blätter zwischen den Zähnen hängen bleiben. Bei Fisch lauert die Grätengefahr, ein blutiges Steak wirkt zu heftig, gerade wenn man mit einer Dame speist. »Denken Sie immer daran, viele schlanke Frauen sind häufig Vegetarierinnen, manche leben sogar vegan!« Das Dessert höflich, aber bestimmt ablehnen, es hat zu viele Kalorien. Dicke Menschen bekommen keine Führungsposition. Ein doppelter Espresso zum Abschluss hingegen hinterlässt einen weltmännischen Eindruck. Zucker ist dabei erlaubt, allerdings nur ein Löffel voll. Sophie kannte den ganzen Ratgeberquatsch, sie bestellte sich deshalb gerne ein kleines Glas Rotwein und das Steak, »Bitte medium-rare«, nur um ihr Gegenüber durcheinanderzubringen. Und am Ende ein Tiramisu. Doch bei Grotemeyer würden diese Tricks nicht ausreichen.
Zu viel Routine im Raum, schoss es Sophie durch den Kopf. Ein routinierter Italo-Chef und sein routinierter Kellner decken ein, der routinierte Kandidat und die routinierte Psychologin nehmen am Routine-Tisch Platz. Ein gutes Assessment-Center blieb bis zuletzt unberechenbar. Das bläute die Chefin ihren Mitarbeitern immer wieder ein, und deshalb schätzte sie Sophie. Weil die nie in Routine zu ersticken drohte. In dieser müden Atmosphäre aber würde sie nichts wirklich Interessantes über Paul Grotemeyer herausbekommen. Die Assessment-Ratgeber mahnten immer wieder: »Sorgen Sie dafür, dass Sie drei Small-Talk-Themen für den Gabeltest parat haben. Dann sind Sie auf der sicheren Seite.« Sophie drehte sich plötzlich zu Paul Grotemeyer um, der in Gedanken bereits am Routine-Tisch saß und die nächsten Schritte plante.
»Und? Welche drei Small-Talk-Themen können Sie mir anbieten?«, fragte sie und grinste ihn provozierend an.
»Wie bitte?«, antwortete er. Es sollte wohl überrascht klingen, aber er schauspielerte schlecht. Er wusste genau, wovon sie sprach.
»Na, kommen Sie
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