Sommer mit Nebenwirkungen
Sophies Tablett.
»Für Sie«, sagte Paul Grotemeyer.
»Wie haben Sie das geschafft – ein Kind als Geisel genommen?« Normalerweise bekam man das Spielzeug nur zum Kid’s Menü. Und das nur mit Kind.
»Bestechung«, antwortete Paul Grotemeyer knapp.
Das Wort »Bestechung« einem Assessment-Prüfer gegenüber auch nur fallen zu lassen war heikel. Korruption war ein heißes Thema in den Top-Etagen, aber niemand sprach darüber. Scheinbar wollte Grotemeyer spielen. No risk, no fun.
Er schob sein Tablett auf den Tisch und setzte sich. Bevor er zu essen begann, befühlte er die eindrucksvolle Wand neben sich und nickte anerkennend. »Echte Natursteinwand, keine Verblendung. So was baut man heute nicht mehr.«
»Und wie oft haben Sie hier schon Kandidaten gegrillt?«, fragte Paul Grotemeyer, während sie in den Burger biss. Sophie konnte nicht gleich antworten, ein Salatfaden hing ihr aus dem Mund, während ihr »Royal mit Käse« die Statik verlor. Dieses Trumm von einem Hamburger war verdammt schwer zu essen. Jeder Assessment-Ratgeber hätte von diesem Burger abgeraten. Während ihr die obere Brötchenhälfte mit der Mayonnaise wegrutschte, formulierte sie in Gedanken einen Ratgeber-Text: »Werden Sie beim Gabeltest dazu gezwungen, ein Schnellrestaurant zu besuchen, wählen Sie nur Fingerfood wie Pommes frites und Chicken McNuggets. Auf keinen Fall gestapelte Burger – sonst finden Sie in kürzester Zeit eine Gurke auf Ihrem Kostüm oder einen Ketchup-Fleck auf Ihrem Anzug wieder.« Da landete die Gurke tatsächlich auf ihrem schönen Hosenanzug. Der von einem deutschen Designerteam entworfene cremefarbene Anzug war sehr elegant, aber auch sehr empfindlich.
»Mist«, fluchte Sophie leise, schnappte sich eine der dünnen Papierservietten und entsorgte die Gurke. Grotemeyer lächelte sie freundlich an.
»Auch schon länger keinen Burger gegessen, nicht wahr?«, sagte er charmant. Zum Glück hatte er über die Szene seine Frage vergessen.
»Ich bin nicht so ein Burgerfreund«, sagte Sophie ehrlich. »So, eigentlich müssten wir jetzt loslegen.«
»Loslegen?«, erkundigte sich Paul Grotemeyer interessiert.
»Mit der ersten Frage. So einer Standardfrage wie: Wo sehen Sie sich eigentlich in fünf Jahren?« Sophie sah, wie sich das Lächeln von Paul Grotemeyer veränderte, die Mundwinkel zuckten sarkastisch. Sie musste lachen.
»Eine langweilige Frage, nicht wahr?«, fragte sie ihn.
»Sterbenslangweilig«, bestätigte er.
Sophie griff nach einer Pommes und knabberte daran. Es gefiel ihr, mit Grotemeyer inmitten des Lärms der kommenden und gehenden Gäste, dem Gemurmel von der Empore, der Zurufe hinter der Theke, »Drei McRib, sofort«, zu sitzen.
»Keine Ahnung, warum diese Psychofragen so schlicht sein müssen. Im Ernst: Wo man sich in fünf Jahren sieht?« Sie verstellte die Stimme, sodass sie männlich klang. »In fünf Jahren wiege ich zwölf Kilo mehr, mein Dispo ist gnadenlos überzogen, und meine Frau reicht die Scheidung ein.«
Grotemeyer musste lachen. »Und was wäre denn die richtige Antwort darauf?«, erkundigte er sich. »Ich meine die, mit der man bei Psychologen punkten kann. Die Lehrbuchantwort.«
»In fünf Jahren sehe ich mich ganz oben. So einen Kram muss man sagen.« Sophie schaute sich um, ein Glücksgefühl überkam sie. Durch die große Glasfront spürte sie die wärmende Sonne auf ihrem Arm. Die Cola light prickelte aufregend im Mund, überhaupt alles wirkte plötzlich so prickelnd. Sie war so überwältigt von dem Gefühl, dass es ihr schwerfiel, den Becher wieder auf das Tablett zu stellen. Wie gelähmt vor Glück. Dann ging der Moment vorüber. Jetzt bloß nicht diesen Grotemeyer anschauen, dachte sie. »Dieser Spontanvortrag mit dem Heinlein, das fand ich, um ehrlich zu sein, ziemlich unmenschlich. Sollte das so laufen?«, fragte der nun. Sophie spürte einen Stich. Heinlein, den hatte sie schon fast vergessen. Grotemeyer hätte doch irgendein anderes Thema wählen können als ausgerechnet diesen entgleisten Vormittag.
»Nein«, sagte sie ehrlich betrübt, »das ging einfach schief. Der Umgang der Kandidaten miteinander wird härter, erbarmungsloser. Aber was erzähle ich Ihnen, Sie sind ja selbst einer.«
»Aber ich würde nie so eine arme Sau wie Heinlein fertigmachen. Das ist so, als konkurriere man als Spitzensportler mit ›Eddie the Eagle‹. Erinnern Sie sich noch an den?«
»Der englische Amateur-Skispringer?«, fragte Sophie.
»Genau. Der mit den dicken
Weitere Kostenlose Bücher