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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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übergossen worden und dachte nun, dass er für seine abfällige Bemerkung eine frauentypische Überreaktion abbekommen würde. Sophie musste lachen, so ein Trottel. Sie trank einen letzten Schluck, danach rieb sie sich gründlich die Hände mit einer Papierserviette ab. Sie mussten trocken sein, schließlich hatte sie kein Chalk dabei.
    »Was machen Sie da?«, fragte Paul Grotemeyer verdutzt, aber Sophie antwortete nicht, sondern stieg auf den Tisch.
    »Was wird das?« Paul Grotemeyers Stimme klang jetzt deutlich alarmierter.
    »Zeit zu lernen, Paul Grotemeyer, Zeit zu lernen«, sagte Sophie mit dem Gesicht zur Wand und machte ihre Finger warm. Faust schließen, Faust öffnen. Sie berührte die Natursteinwand. Sie war massiv.
    »Das ist jetzt ein Witz«, rief Paul Grotemeyer.
    Der erste Griff, der rechte Fuß auf einem Vorsprung, der Halt war gut, Sophie zog sich nach oben. Sofort war das Gefühl von Freiheit da, sie liebte diesen Moment. Den Geruch von Stein, kühl, ein bisschen mehlig, trotzdem frisch. Ein sauberer, unbestechlicher Geruch, der sich mit nichts durchmischen ließ. Wenn nach einem heißen Tag Regen auf die Felsen fiel, dann rochen sie nicht anders, nur intensiver. Sophies linker Arm griff nun höher, die Wand war nicht schwer, so uneben wie sie war. Im Nu war sie außerhalb der Reichweite von Paul Grotemeyer. Aber sie ließ sich Zeit, Hektik war eine der größten Gefahren beim Freeclimbing. Wie hatte sie das Klettern vermisst. Warum hatte sie bloß damit aufgehört? Es tat so gut, plötzlich lagen alle Probleme hinter ihr. Diese Freiheit!
    Die ersten Meter waren schnell geschafft. Sie schaute nach unten und grinste Paul Grotemeyer an. Er stand da und starrte nach oben. Im ersten Moment hatte sie noch seinen Protest gehört, aber ihm war vermutlich schnell klar geworden, dass sie nicht zum ersten Mal kletterte. Sophies Griffe waren so sicher wie im Schlaf. Sie war alles schon geklettert – Kamine, Risse, Überhänge, Nordwände.
    »Scheiße«, hörte sie ihn murmeln, »scheiße, scheiße, scheiße!«
    Es war lustig, ihn so niedergeschmettert zu sehen. Mit dem rechten Arm musste er sich am Tisch abstützen, seine Hand lag zwischen den Tabletts und ihren Pumps. Hoffentlich waren die teuren Pumps noch da, wenn sie zurückkehrte. Grotemeyers Mimik in puncto Verzweiflung wirkte nicht sehr erprobt. Möglicherweise benutzte er diesen Gesichtsausdruck zum ersten oder zweiten Mal in seinem Leben.
    Sie würde schnell bei der Empore sein, der Weg dort hoch war nicht weit – für einen trainierten Freeclimber ein Kinderspiel. Sie könnte bis unter die Decke klettern und dann langsam seitlich hinunter, aber warum das Risiko eingehen? Sie hatte bewiesen, was zu beweisen war: Paul Grotemeyer war ein arroganter, frauenverachtender Mistkerl, und von solchen Typen liefen im Topmanagement schon zu viele herum. Davon brauchte es nicht noch einen. Nein, dachte Sophie, ich klettere gleich rüber zur Empore. Dann gehe ich zurück ins Büro und berichte der Chefin. Vermutlich nehmen wir die Saarländerin.
    Ein kleiner Vorsprung gab ihren Füßen Sicherheit. Auch die Hände hatten einen guten Halt.
    Sophie schaute hinaus und genoss die Aussicht auf die belebte Potsdamer Straße. Ach, Berlin war toll. Was für eine Stadt. Unter ihr, das spürte sie, hielten alle den Atem an. Oben auf der Empore, auf die sie zukletterte, hingen die Leute förmlich am Geländer, niemand aß mehr einen Burger, alle Milkshakes waren beiseitegestellt. »Krass, die Alte«, sagte irgendwo unter ihr ein Jugendlicher. Mehrmals blitzte es, sie wurde mit Handys fotografiert und gefilmt. Es störte sie nicht, im Gegenteil. Das gehörte dazu, alles war in dieser Stadt ein mediales Happening. Paul Grotemeyer hatte sie schon fast vergessen. Auf dem Vorsprung noch ein, zwei Meter nach links, dann war sie am Ziel. Das Geländer der Empore war zum Greifen nahe.
    »Hey«, rief plötzlich Paul Grotemeyer von unten, »bin ich jetzt raus aus dem Rennen?«
    Sophie schaute nach unten.
    »Auf jeden Fall. Keine Chance mehr, den Job kriegt jemand anders.«
    »Den Scheißjob will ich überhaupt nicht«, klang es triumphierend nach oben. »Ich bin kein echter Kandidat, nein, ich habe mich eingeschlichen. Ich schreibe über die miesen Methoden des Assessment-Centers, über die armen Heinleins dieser Welt und über kalte Frauen wie Sie, die solche Menschen systematisch fertigmachen.«
    »Wie bitte?«, fragte Sophie. »Was reden Sie da?« Ihr Griff an der Wand verkrampfte

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