Sommer mit Nebenwirkungen
gefallen. Alles ist schon nachgedunkelt, die Tapeten, das Holz. Bisschen oll, die Bude.«
»Und dann noch das ›Wunderwasser‹, wie Johann es ironisch nennt«, warf Sophie nun ein.
Katalin schaute ihn neugierig an. »Was hast du gegen das Wasser?«, fragte sie.
Julia zeigte auf sie. »Sie ist nämlich Ärztin.«
»Eine richtige Ärztin?«, fragte Johann erstaunt.
»Wieso, was ist denn eine falsche Ärztin?«, erkundigte sich Katalin.
»Homöopathin, Naturheilkundlerin, Ernährungsspezialistin, Psychologin …«, begann Johann.
»Sophie ist doch Psychologin«, warf Zoe ein.
»Ja, aber zumindest Wirtschaftspsychologin. Das ist nicht nur Blabla. Bei ihr sind die Ergebnisse zumindest messbar – da gibt es Tests, standardisierte Auswertungen. Ich meine mehr diesen Couch-Kram.«
»Keine Sorge, ich bin eine richtige Ärztin. Ich arbeite im Uniklinikum Erlangen. In leitender Position.«
Man sah Johann an, dass er jetzt gerne nachgehakt hätte, warum jemand wie Katalin, die es doch besser wissen müsste, hier oben hockte und dieses sonderbare Wasser trank, aber er hielt sich Sophie zuliebe zurück. Er würde nie verstehen, was hier lief, aber er gab sich sichtlich Mühe, nicht sofort anzuecken. Schließlich war er nicht mit leeren Händen gekommen, sondern hatte einen Plan. Er wandte sich wieder dem iPad zu, sein Finger glitt über die Touchscreen-Oberfläche. Nun erschien Dr. Kempers Gesicht mit einem großen Pfeil auf der Nase. Sophie seufzte. »Darf ich vorstellen: mein Berliner Fruchtbarkeitsguru, Dr. Dr. Homunculus.«
»Dr. Christian Kemper«, sagte Johann, nun doch langsam verärgert. Er drückte dem Mann auf die Nase und setzte so die Videosequenz in Gang.
Dr. Kemper schaute sehr ernst. Er saß in seinem Sprechzimmer, Sophie erkannte es an der Posterreproduktion eines Kandinsky mit seinen vielen stechenden Linien.
»Liebe Frau Kaltenbrunn«, begann er, »Ihr Verlobter hat mir erzählt, was Sie gerade treiben. Ein ganz besonderes Wasser …«, hier brach er ab und hüstelte, vermutlich, um sein Lachen zu überspielen, »… aus meiner Praxis weiß ich: Alle meine Patientinnen möchten auf natürlichem Wege schwanger werden. Diese Sehnsucht nach einer Spontanschwangerschaft ist ganz normal. Sehr menschlich und verständlich. Aber – ich muss jetzt leider Klartext reden. Jeder Tag, den Sie an diese naive Hoffnung vergeuden, ist ein verlorener Tag. Denn, es tut mir leid, das sagen zu müssen: Sie werden älter.« Nun beugte er sich ein wenig vor und starrte eindringlich in die Kamera. »Entschuldigen Sie meine Schonungslosigkeit, Frau Kaltenbrunn, aber Ihre Fruchtbarkeit nimmt dramatisch ab. Als Vierzigjährige haben Sie lediglich eine zehnprozentige Chance, während eines normalen Zyklus schwanger zu werden. Ab dreiundvierzig, vierundvierzig läuft ohne Unterstützung gar nichts mehr. Und leider, leider steigt auch das Risiko von Fehlgeburten mit jedem weiteren Lebensjahr. Lassen Sie mich ein drastisches Bild wählen: Ihre Fruchtbarkeit befindet sich im Vorruhestand. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das ist völlig unabhängig von Ihnen und von Ihrem Äußeren. Aber Sie müssen sich klarmachen, dass eine Frau – nach ihrer Geschlechtsreife – nur im ersten Abschnitt ihrer Lebenszeit fähig ist, Kinder zu gebären. Deshalb müssen wir Ihren Eiern auf die Sprünge helfen.«
Das schräge Wortspiel fiel ihm überhaupt nicht auf. Er lachte nicht, grinste noch nicht einmal.
»Bitte verlieren Sie keine Zeit mehr. Kommen Sie zurück nach Berlin. Das Zeitfenster, in dem wir uns bewegen, ist klein. Schluss mit der Esoterik!« Er hob eine Spritze von seinem Schreibtisch hoch und hielt sie ins Bild. Sophie stöhnte auf. Aber nicht nur sie. Auch Zoe und Julia. »Diese Injection Pens sind auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Schauen Sie, eine ganz feine Nadel. Auch das Hormon ist viel besser verträglich als früher. Spielen Sie dort in den Bergen nicht weiter mit Ihrer Zukunft – und mit der Zukunft Ihres ungeborenen Kindes. Ihre Chancen stehen gut. Über Ihren Ausflug werden wir kein Wort verlieren, versprochen. Wir machen einfach weiter wie bisher.«
Das Bild wurde schwarz.
Alle schauten betreten in verschiedene Richtungen, und jede der vier Frauen war auf ihre Art betroffen. Sie alle hatten den vierzigsten Geburtstag in Sichtweite, nur Zoe nicht, die hatte ihn schon hinter sich gebracht. Waren das Tränen in ihren Augen? Sophie wagte gar nicht, genau hinzusehen. Johann nestelte dagegen schon wieder an
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