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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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gerade juchzend einem blökenden Schaf hinterherrannten.
    »Das war gut«, sagte die Ehefrau, sichtbar einverstanden. »Aber ich hoffe doch, er kommt wieder hoch. Bis zum Scheidungsprozess muss er wieder fit sein. Es geht um viel Geld.«
    »Keine Sorge, Zoe hat jahrelanges Jiu-Jitsu-Training hinter sich. Die hat ihre Kraft gut im Griff.«
    In diesem Moment kam Johann atemlos angerannt. »Was war das denn für eine Nummer?«, rief er schon von Weitem. »Ist deine Freundin verrückt geworden? Mit so einem Tritt kann man einen Mann umbringen.«
    Das schmerzerfüllte Stöhnen des Ehemanns war weiterhin gut zu hören.
    »Danach sieht es nicht aus. Wer jammert, der lebt noch – alte Ärzteweisheit. Trotzdem gehe ich vorsichtshalber mal hin und messe seinen Puls. Nicht, dass er noch kollabiert«, meinte Katalin.
    »Ich assistiere«, sagte Julia und eilte Katalin hinterher.
    »Und ich lenke die Kinder ab. Den Vater so am Boden zu sehen ist ja kein schöner Anblick. Wir wollen doch kein frühkindliches Trauma.«
    Alle eilten davon, nur Johann und Sophie blieben am Zaun stehen. Johann schaute noch ganz verdutzt. »Kann mir mal einer erklären …«, begann er, aber dazu hatte Sophie keine Lust. Sie versuchte, interessiert hinter Johanns Rücken zu schauen, er hielt doch etwas in der Hand.
    »Was hast du da?«, fragte sie neugierig.
    Er brauchte einen Moment, sich von der Szene auf der Wiese loszureißen. Der Tritt hatte gesessen, auch bei ihm. Regelrecht zerstreut sagte er: »Ach, das hier. Ich habe einen Umschlag auf der Wiese gefunden, zwischen lauter abgekauten Blumen. Er war noch verschlossen. Die Anschrift ist schon ziemlich verwischt, aber man kann deinen Namen noch entziffern. Jetzt dachte ich, ich mach ihn mal auf.«
    Sophies Herz setzte förmlich aus. Die Blumen, der Brief, Paul Grotemeyer. Schafe fraßen wohl doch nicht alles.
    »Und, was habe ich gefunden?«, fragte Johann. Er klang wie ein Zauberer, der gleich das Kaninchen aus dem Hut zog. Doch stattdessen kam ein kleines Aufnahmegerät zum Vorschein. Ein altes, mit kleiner Kassette. Er überreichte es Sophie.
    »Was soll das?«, fragte Sophie erstaunt.
    »Offenbar sollst du es abspielen«, antwortete Johann.
    »Kein Brief, kein Zettel – nichts?« Sophie hörte selbst mit Erstaunen, dass Enttäuschung in ihrer Stimme lag. Sie hatte den blöden Umschlag doch ungeöffnet weggeworfen, ihn niemals öffnen wollen. Und jetzt erwartete sie … was eigentlich? Eine kitschige Entschuldigung von Grotemeyer?
    »Doch«, sagte Johann und schaute sie prüfend an. »Da scheint noch etwas zu sein.« Er zog ein zusammengefaltetes Blatt heraus. »Vermutlich ein Erpresserbrief«, witzelte Johann noch, doch dann verstummte er. Sophie schluckte.
    Alles war wieder da. Jemand hatte sie damals im Schnellrestaurant fotografiert, als sie die Wand hochgeklettert war. Sie erinnerte sich wieder an die vielen auf sie gerichteten Handys. Wahrscheinlich fand man ihre Kletterei längst auf YouTube. Natürlich, ihr Aufstieg zur Empore war ein kleines Ereignis gewesen und komplett von den anderen Gästen dokumentiert worden. Das Foto zeigte den letzten, den kritischen Moment: der Augenblick, als sie in der Wand feststeckte, kurz vor der Empore. Der gefährlichste Augenblick. Paul Grotemeyer griff nach ihr. Und sie griff nach ihm. Allein die Geste rührte.
    Am meisten erstaunte sie aber der Ausdruck auf ihrem eigenen Gesicht. Von der Wut, die sich wenig später heftig entladen würde, war noch nichts zu sehen. Vom Schmerz über seine Worte sonderbarerweise auch nichts. Nicht in diesem Moment. Sophie, die Augen halb geschlossen, fasste seinen Arm und schien sich im gleichen Moment fallen zu lassen. Und Paul Grotemeyer? Er fixierte sie so fest, so wild entschlossen, wie etwas, das man nie wieder verlieren will.
    Jeder, der dieses Bild sah, verstand die Botschaft. Es war ein Moment totaler Hingabe.

18
    Zwanzig Minuten, vielleicht dreißig. Mehr blieben ihr nicht. »Ich muss diesen einen Anruf noch machen – sonst platzt das Geschäft«, hatte Johann aus sich herausgepresst. »Danach sprechen wir!« Aber sie konnte nicht mit ihm reden, noch nicht. Sie musste erst hören, was sich auf dem Rekorder befand – nur, wo konnte sie das ungestört? Ihr erster Impuls war gewesen, zurück ins Hotel zu laufen. Nun saß Sophie auf dem Bett ihres Zimmers und dachte fieberhaft nach. Wie viel Zeit blieb ihr hier? Nicht viel. Klar, sie konnte die Zimmertür abschließen, aber dann würde Johann von draußen

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