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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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dagegenhämmern. Säße sie auf dem Dach, würde er vom Balkon hochrufen. Sie konnte sich natürlich unten in den Konferenzräumen verstecken, aber der Ort war so tot und öde, da wollte sie sich nicht freiwillig aufhalten. Durch den Wald zum Auto rennen und wegfahren? Der Weg kreuzte sich mit dem Rückweg von der Telefonwiese, die Gefahr, auf Johann zu treffen, war zu groß. Sie brauchte einen ruhigen Ort, an dem sie sich sicher fühlte.
    Egal, was sie auf dem Aufnahmegerät vorfinden würde, es war aus mit Johann. Daran gab es keinen Zweifel, sie spürte es. Spätestens das Foto von ihr und Grotemeyer hatte ihr klargemacht, was in ihrer Beziehung fehlte – Vertrauen, Verständnis und Liebe. Diese Hingabe wie auf dem Foto, ruhig und wild zugleich. Sophie zog den Verlobungsring vom Finger und legte ihn gut sichtbar auf Johanns Nachttisch. Dann nahm sie den Block mit dem Aufdruck »Marienbrunn. Sommerfrische« und schrieb darauf: »Johann! Es ist aus.«
    In diesem Moment kam ihr die rettende Idee. Sie trat hinaus auf den Balkon. »Laura«, rief sie hoch. »Laura, bist du da?« Keine Antwort. Also zog Sophie die Schuhe aus, nahm den Weg über den geschnitzten Holzpfosten und schwang sich auf die Dachkante. Das Fenster stand zum Glück offen. »Laura?«, rief sie noch einmal. Sophie kletterte hinein.
    Das Zimmer war komplett violett. Alles Ton in Ton. Die Stofftapete war in der warmen, ungewöhnlichen Farbe gehalten, ebenso wie die Bettwäsche und die Fliesen im Bad. Sophie erinnerte sich an ein Seminar über Hysterikerinnen. Vor hundert Jahren glaubte man, die Farbe Lila wirke beruhigend auf die betroffenen Frauen.
    Aber Sophie war nicht hier, um sich mit der Geschichte der Psychoanalyse und ihrer Farbenlehre zu beschäftigen. Sie suchte den Schlüssel zum Krötenraum.
    Wo konnte er sein? Sie sah sich im Zimmer um und entdeckte ein altes Holzkästchen auf dem Tisch. Sophie öffnete es. Die Innenwände waren üppig mit gepolstertem Stoff ausgelegt, darin lag der Schlüsselbund samt Bartschlüssel. »Entschuldige, Laura. Ein Notfall«, murmelte Sophie und steckte den Schlüssel ein. Zu ihrer Überraschung war Lauras Zimmertür unabgeschlossen. Das war gut, dann musste sie nicht zurück in ihr eigenes Zimmer, denn Johann war bestimmt schon auf dem Weg ins Hotel. Neben der Tür stand ein Paar weißer Segel-Schuhe, die Sophie sich von Laura ausborgte. Die Größe stimmte.
    Über die Seitentreppe gelangte Sophie zur Liegehalle. Sie schnappte sich zwei Wolldecken, denn dort, wo sie jetzt hinwollte, war der Boden kühl und steinern, und sie hatte nur T-Shirt und kurze Hose an. Niemand achtete auf sie. Zügig eilte sie am Außenpool vorbei, dann stand sie auch schon vor den Kirchen. Sie tauchte zwischen den Mauern ein und stellte erleichtert fest, dass sich niemand am Brunnenhäuschen aufhielt. Die Gittertür zum ersten Raum stand offen, rechts in der Ecke lagen drei Wasserkanister – vermutlich sollten sie für das Abendessen gefüllt werden. Ohne zu zögern zog Sophie den Bartschlüssel hervor und schloss die unscheinbare Holztür auf. Wieder schlug ihr sofort der würzige Geruch von getrockneten Kräutern entgegen. Die Nachmittagssonne schien fahl durch das Ochsenauge unter dem Giebel, und zum ersten Mal sah sie den Raum bei Tageslicht. Er wirkte dadurch weniger unheimlich, harmloser. Die Kröten an den Wänden sahen plötzlich pittoresk aus und erinnerten sie an niedliches Kunsthandwerk. Aber dann fiel ihr eines der Bilder ins Auge. Es war in dunklen Tönen gehalten und mit kräftigen Strichen gemalt. Sophie spürte wieder, wie viel Hoffnung, Erwartung und auch Bitterkeit hier dicht an dicht im Raum hing. Keine Frage, dies war ein kraftvoller Ort. Schnell schloss sie die Tür hinter sich, dann drehte sie den Schlüssel um. Niemand hatte sie gesehen. Obwohl sie sich tagsüber eingeschlichen hatte, würde sie unentdeckt bleiben. Nun konnte sie in Ruhe hören, was auf dem Rekorder aufgenommen war.
    Der Krötenraum war jetzt ihr Raum.
    Sie ging zu der dicken steinernen Wasserkröte, die genau unterhalb des Ochsenauges stand, und strich ihr sanft über den Kopf. »Da bin ich wieder.« Dann faltete sie die Hände zum Gefäß, hielt sie unter das Maul und trank einen Schluck Wasser. Es war kalt, frisch und belebend. Sie suchte sich eine Stelle im Raum, die ihr besonders gut gefiel. Unter dem schön gemalten Votiv »Die heilende Kraft des Wassers«, mehreren einfachen Kröten aus Ton und zwei Sträußen wilden Thymians breitete

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