Sommer, Sonne, Ferienglück
natürlich, wenn es sich um die so häufigen psychosomatischen Fälle handelte.
So hatte es Olga Christa erklärt.
Nun, ein psychosomatischer Fall war Christa noch nicht, aber wenn das so weiterging, würde sie einer werden. Sie dachte es, denn ihr rechtes Auge begann schon wieder Tränen zu spucken. Dies allerdings war nicht psychisches Leid, die mistige Kontaktlinse war's.
»Du mit deinem feuchten Türkisblick!« hatte Jochen getönt, als noch alles in Ordnung war. Vor hunderttausend Ewigkeiten.
Christa ließ sich neben Olga nieder.
Olga hatte Wolle und Strickzeug in der Hand. Sie strickte einen Pullover. Das tat Olga immer. Dabei hatte Christa sich vorgestellt, ein Psychotherapeut würde sich bei sanfter Musik, leise, fast unhörbar am Kopfende der Liege niedersetzen, auf der der Patient ausgestreckt vor sich hin träumte. Aber Olga ließ sich nicht nieder, ihre Patienten träumten auch nicht, sie saßen vor Olgas Schreibtisch – und Olga strickte.
Nun ließ sie die Nadeln in den blaßlila Schoß sinken. Blaßlila war auch der mächtige, selbstgefertigte Wollumhang, den sie trug.
Christa fröstelte, nahm die Mistdinger aus den Augen und verstaute sie in dem eleganten, unauffälligen Plastikdöschen, in dem man sie besser für immer verriegeln sollte.
Nun lief's aus beiden Türkisaugen.
»Hast du vielleicht ein Taschentuch?«
Olga holte ein sehr großes, gleichfalls lila Taschentuch aus ihrem Beutel. Christa tupfte. »Haste ihn gesehen?« erkundigte sie sich.
Olga nickte.
»So eine unglaubliche Type! Hält sich für den Über-Zampano. Also wenn du mir verraten könntest, wie man sich von so einem Typ harmonisch trennen kann?«
Es war nämlich Olga gewesen, die ihr die Grundzüge der ›harmonischen Trennungsmethode‹ vermittelte. Die harmonische Trennungsmethode, so hatte Christa damals erfahren, werde das Spannungs- und Konfliktpotential dadurch abbauen, daß sie die bei einer Trennung vorhandene soziobiologische wie auch die sozio-psychische Dimension mit einbeziehe.
Das mit dem ›Soziobiologischen‹ war relativ einfach zu begreifen. Dabei handelte es sich um das, was Brennecke als ›Promiskuität‹ bezeichnete, nämlich seinen kindischen und unstillbaren Hunger auf möglichst junge beruflich Abhängige, Schwestern im allgemeinen und koreanische OP-Schwestern im besonderen.
Das ›Soziopsychische‹ aber war schon komplizierter. Das sei im Grunde der ganze Brennecke selbst, hatte Olga erläutert. Sein blödes Macho-Getue sei schließlich nichts anderes als die Kompensation einer tiefen Unsicherheit als Folge einer unglücklichen Jugend im Schatten eines überdominanten Vaters.
Den überdominanten Vater hatte Christa nie kennengelernt, ihre Schwiegermutter auch nicht, denn der arme Brennecke war keine Halbwaise wie sie, sondern ein Scheidungskind. Soweit Jochen ihr erklärt hatte, handelte es sich bei dem ›überdominanten‹ Vater um einen Oberbonzen des Ärzte Verbands.
Ihr eigener Papi, Theo nämlich, war alles andere als ›überdominant‹. Ein kleiner Schuß davon würde ihm sogar manchmal ganz gut zu Gesicht stehen.
Christa dachte es mit einer Aufwallung von Reue. Wer hatte schließlich auch noch ihre Hochzeit im ›Schwarzen Adler‹ von Kirchberg ausgerichtet? – Theo natürlich.
Und jetzt?
»Und jetzt, sag mal …« Olga nahm die Nadeln hoch und richtete die dunklen Augen auf Christa: »Was hat er dir denn wieder geliefert?«
Christa sagte es. »Spritztour an den Bodensee«, schloß sie. »Mit Halleluja und Feuerwerk. Halleluja und Feuerwerk sind bei ihm irgendwelche Weiber und jede Menge Suff. Und für diesmal, weil er sich ja so sehr ums Harmonische kümmert, gibt's dazu den neuen Freund Robbi, so 'n Kleiner mit 'ner Halbglatze. Dabei ist der noch nicht mal Assi, sondern nur Student.«
»So, so.« Olga nahm eine Masche auf.
»Ich hab's oben. Satt. Ich will nicht in einer harmonischen Trennung leben, Olga. – Ich pfeif aufs Harmonische. Jetzt ist Schluß, und das endgültig. Für den Jochen gibt's bald einen harmonischen Hammer, wenn du weißt, was ich meine.«
Das wisse sie nicht, meinte Olga, und ihr Blick wurde kummervoll, sie sehe in einem solchen Verhalten auch nicht, wie Christa, den Ausdruck schrankenloser männlicher Selbstüberheblichkeit, sondern eine Art Flucht in die Kindheit. »Eine Regression, verstehst du? Der will aus der Pubertät nicht aussteigen, und deshalb robbt er zurück.«
»Kapier ich nicht.«
Das Phänomen des Regredierens, sagte Olga, sei
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