Sommer, Sonne und dein Lächeln: Sommerträume (German Edition)
hing in der Luft. Aus dem Radio kam leiser, sanfter Jazz. Die Fenster waren halb offen, so dass sie bei der Veränderung ihrer Haltung von einem Windstoß schneller geweckt wurde, als ihr angenehm war.
Es war jetzt vollständig dunkel. Überrascht streckte Blanche sich und blickte aus dem Fenster auf den halb von Wolken verdeckten Mond. „Es ist spät“, sagte sie mit einem zweiten Gähnen. Das Erste, was ihr einfiel, sobald ihre Gedanken sich vom Schlaf klärten, war, dass sie nichts gegessen hatten. Sie presste eine Hand auf ihren Magen. „Abendessen?“
Er sah sie lange genug an, um zu beobachten, wie sie ihr Haar aus dem Gesicht schüttelte. Es fiel sanft über ihre Schultern und auf ihren Rücken. Während er beobachtete, musste er den Drang unterdrücken, ihr Haar zu berühren. „Ich möchte noch heute Abend über die Grenze.“
Sie hörte es in seiner Stimme – die Spannung, die Verärgerung. Blanche wusste nicht, wodurch es ausgelöst worden war, und wollte es im Moment auch gar nicht wissen. Stattdessen hob sie eine Augenbraue. Wenn er es eilig hatte, nach Oklahoma zu kommen, und gewillt war, dafür bis in die Nacht hinein zu fahren, war das seine Sache. Sie hatte einen der Schränke hinten im Campingbus für solche Situationen mit einigen unentbehrlichen Dingen ausgestattet.
Es war fast drei Uhr nachts. Sidney hatte bereits die Erfahrung gemacht, dass in diesen frühen Morgenstunden der Verstand am hilflosesten war. Der Campingbus war dunkel und still, auf einem kleinen Campingplatz gleich hinter der Grenze von Oklahoma abgestellt.
Während der ersten Monate nach seiner Rückkehr aus Kambodscha hatte Sidney den Traum regelmäßig gehabt. Im Laufe der Jahre war er dann immer seltener gekommen. Oft konnte Sidney sich selbst wecken und gegen den Traum ankämpfen, bevor er voll einsetzte. Aber jetzt, auf diesem winzigen Campingplatz in Oklahoma, war er machtlos.
Er wusste, dass er träumte. In dem Moment, wo die Gestalten begannen, Form anzunehmen, begriff Sidney, dass es nicht wirklich war – dass es nicht mehr länger wirklich war. Das hielt jedochnicht die Panik oder den Schmerz auf. Der Sidney Colby im Traum würde genau das alles durchexerzieren, was er vor vielen Jahren durchlitten hatte und zu dem gleichen Ende gelangen. Und in dem Traum gab es keine weichen Linien, keine Nebelschleier, die die Wirkung milderten.
Er sah es genau so, wie es passiert war, bei kräftigem Sonnenschein:
Sidney kam aus dem Hotel und trat zusammen mit Dave, seinem Assistenten, auf die Straße. Zwischen ihnen trugen sie ihr gesamtes Gepäck und die Ausrüstung. Sie kehrten heim. Nach vier Monaten harter, oftmals gefährlicher Arbeit in einer zerrissenen Stadt, verwüstet und rauchend, kehrten sie heim. Sidney dachte, dass sie jetzt Schluss machten – aber er hatte schon früher Schluss machen wollen. Jeder zusätzliche Tag vergrößerte das Risiko, nicht mehr rauszukommen. Doch es hatte immer noch ein Foto gegeben, das sie machen mussten. Und es hatte Sung Lee gegeben.
Sie war so jung, so begeistert, so klug gewesen. Als Kontaktperson in der Stadt war sie unschätzbar gewesen. Und privat war sie für Sidney genauso unschätzbar gewesen. Nach einer rauen, hässlichen Scheidung von seiner Frau, die mehr Glamour und weniger Realität wollte, hatte Sidney den langen, fordernden Auftrag gebraucht. Und er hatte Sung Lee gebraucht.
Sie war hingebungsvoll und süß und stellte keine Forderungen. Als er mit ihr ins Bett ging, hatte Sidney endlich den Rest der Welt abblocken und sich entspannen können. Das einzige Bedauern, das in seiner Heimkehr lag, war, dass Sung Lee ihr Land nicht verlassen wollte.
Als sie auf die Straße traten, dachte Sidney an sie. Sie hatten sich schon am Vorabend voneinander verabschiedet, aber er dachte an sie. Hätte er es nicht getan, würde er etwas geahnt haben? Das hatte er sich in den folgenden Monaten Hunderte Male gefragt.
Die Stadt war ruhig, aber es war nicht friedlich. Die in derLuft liegende Spannung konnte jederzeit ausbrechen. Wer immer die Stadt verlassen wollte, tat es in Eile. Morgen oder übermorgen konnten die Tore bereits geschlossen sein. Sidney sah sich noch ein letztes Mal um, als sie auf ihren Wagen zugingen. Ein letztes Foto, dachte er, von der Ruhe vor dem Sturm.
Ein paar sorglose Worte zu Dave, und er war allein, stand am Randstein und zog seine Kamera aus der Tasche. Er lachte, als Dave fluchte und sich auf dem Weg zu dem Wagen mit dem Gepäck abmühte. Nur noch
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