Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
schloss, konnte er so tun, als wäre ein paar Sekunden lang alles ganz normal.
Die große Wiedervereinigung der beiden Zweige der Bellamy-Familie war immer noch in Arbeit, aber in der Zwischenzeit gab es viele andere Sachen zu unternehmen. George stellte seinen Bruder stolz all seinen Gästen vor. Er wollte, dass alle das Camp Kioga erkundeten, es so erfuhren, wie er es als Junge erfahren hatte. Die Tage waren angefüllt mit Bootsfahrten und Angeln, Klettern und Schwimmen, sogar Bogen- und Tontaubenschießen. George konnte nicht immer teilnehmen, aber er schien eine besondere Freude daran zu haben,zuzusehen, wie die anderen den zeitlosen Rhythmus des Sommers für sich entdeckten. Eine der etwas bizarreren Veranstaltungen war der Schießwettbewerb, den Charles auf dem Schießstand des Camps veranstaltete. Es wurde nicht auf Tontauben, sondern auf feste Ziele geschossen. Wie sich herausstellte, war George ein Meister im Umgang mit dem Repetiergewehr.
Mit stiller Kompetenz leitete Claire Georges Leben von Stunde zu Stunde. Er schlief mehr und mehr, genau, wie der Arzt vorhergesagt hatte. Er schien aber keine Schmerzen zu haben, und in den wachen Momenten war er wirklich glücklich. In jedem Augenblick lagen eine besondere Schwere und das melancholische Wissen, dass sie sich Erinnerungen schufen, weil ihnen nur zu bald nichts anderes mehr von ihm bliebe. Ross wusste, er würde nie den Anblick seines Großvaters vergessen, wie er inmitten seiner Familie auf der Terrasse saß und Geschichten über seine Kindheitssommer im Camp Kioga erzählte. George war ein mitreißender Geschichtenerzähler. Er hatte es zu seinem Beruf gemacht und sich eine große Karriere bei verschiedenen Tageszeitungen aufgebaut. Jetzt nutzte er seine Fähigkeit, sich Einzelheiten zu merken, und seine Erzählkraft dazu, die Ereignisse seines Lebens nachzuerzählen.
Jeder Tag wurde davon bestimmt, wie George sich fühlte und was er gerne tun wollte. Eines Abends fuhren sie alle gemeinsam ins Stadion in der Stadt. Avalon hatte ein eigenes Baseballteam – die Hornets – das in der Can-Am-League, der unabhängigen kanadisch-amerikanischen Liga spielte. Das Team wurde von Dino Carminucci meisterhaft geführt, der jahrelang Mitglied des Stabs der Yankees gewesen war. Die größte Erfolgsgeschichte von Avalons Club war, dass ihr Star-Pitcher, Bo Crutcher, von hier aus zu seiner großen Karriere bei den Yankees aufgebrochen war.
Ross’ Freundin Natalie Sweet kam aus der Stadt. Als Sportreporterin von wachsendem Ruf hatte sie immer Lust auf einSpiel. Sie redete nicht lange drum herum, als sie Ross sah. „Du siehst anders aus.“
„Wie anders?“
„Du scheinst … Okay, das klingt unter diesen Umständen seltsam. Aber du scheinst dich hier wohlzufühlen.“
„Glaub mir, nichts hieran ist zum Wohlfühlen. Aber ich erinnere mich immer wieder an das, was wichtig ist. Mein Großvater – und sicherzustellen, dass jeder Tag für ihn ein guter Tag ist.“
„Wow! Das ist so … gar nicht Ross. Du warst immer der Actionheld. Jetzt bist du der sanfte Riese.“
„Claire hat einen guten Einfluss auf mich.“ Das Geständnis rutschte ihm einfach so heraus und überraschte ihn genauso wie Natalie. „Hey, wo wir gerade von ihr sprechen. Du wolltest doch sehen, was du über sie herausfinden kannst.“
Natalie zögerte. „Tja, weißt du, ich hatte viel zu tun. Und außerdem sind wir hier, um ein Baseballspiel zu sehen, Kumpel.“
Die Banden des von Flutlicht erleuchteten Spielfelds waren mit Werbung von ortsansässigen Firmen bedruckt. Die Sitzreihen waren gepackt voll, und an Fressbuden wurde fleißig Hotdogs, Bier und Popcorn verkauft. Orgelmusik erscholl aus dem Lautsprechersystem. Die Spannung unter den Zuschauern war beinahe mit den Händen greifbar. Die Hornets spielten gegen ein Team, das sich Bremolos nannte und offensichtlich ein harter Gegner war.
Chelsea Nash, ein Mädchen aus der Stadt, sang die Nationalhymne. Danach folgte das traditionelle Kommando Play ball!
„Heiliges Kanonenrohr!“, rief Ross’ Cousin Micah und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. „Das da unten ist Granddad!“
„Ladys und Gentlemen“, verkündete der Stadionsprecher mit seiner tiefen Stimme. „Wir haben einen VIP im Haus, der heute Abend den ersten Ball werfen wird.“
„Cool!“, rief Micah. „Ich wette, Granddad …“
„Hör einfach zu!“, zischte seine Schwester Hazel.
„Er ist das erste Mal seit … wow, seit 1955 wieder in
Weitere Kostenlose Bücher