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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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werkelt halt herum. Das ist bei uns so Scheiße gewesen! Dass keiner abgeht, außer man braucht ihn für irgendeine Arbeit.
    Beim Abendessen ist die Mutter dann doch stutzig geworden. Weil er schon beim Frühstück und beim Mittagessen nicht da gewesen ist. Sie hat zum Vater leise gesagt, ich habe es genau gehört: Ich habe Angst, dass er sich was antut. Du hättest mit ihm feiner sein sollen, Toni, die letzten Jahre. Du weißt,
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dass er sensibel ist. Aber der Vater ist ausgezuckt und hat geschrien: Der ist sicher wieder nur in der Stadt bei dem Polizisten! Lässt sich irgendwas einreden von wegen einem Verbrechen!
    Und dann spaziert der Alex einfach so bei der Tür rein. Ich habe ihm sofort angesehen, dass was nicht stimmt. Er ist ganz anders als sonst gewesen. Und auch die Eltern haben gesehen, dass der Alex anders als sonst dreinschaut.
    Der Alex holt aus seinem Rucksack ein Blatt Papier raus. Auf das Papier ist ein Foto draufgeklebt gewesen. Das ist vorher zerrissen gewesen. Das hat man genau gesehen. Er fragt die Eltern: Wie kommt das Foto in die Wohnung meiner richtigen Mutter?
    Die Eltern haben ihn angeschaut, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank. Ich habe das Papier geschnappt, weil ich es mir genau anschauen wollte. Da habe ich gesehen, dass es mein Taufbild ist. Ich meine, das Foto, das bei meiner Taufe gemacht worden ist. In der Kirche.
    Da stehen die Eltern, die Mutter hat mich auf dem Arm. Die Anna, mit der Taufkerze in der Hand, und die Martina stehen vor ihr. Rechts von ihr steht der Vater und links von ihr die Tante Franziska. Sie ist nämlich meine Taufpatin, von uns allen. Ich kenne das Foto gut. Alle kennen wir es. Es hängt eingerahmt bei uns in der Stube, auch die Tauffotos von den anderen. Außer vom Alex natürlich.
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Das ist ja das Foto von meiner Taufe! Verdammte Scheiße, was hat das in der Wohnung von Alex’ Mutter zu suchen?, habe ich gesagt.

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Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. R. und Monika Winter
    Ob ich es geahnt habe?
    Ja, ich habe – ich habe es geahnt, manchmal, und einmal hat jemand was gesagt in der Richtung. Da sind die Manuela und der Alexander ungefähr sieben Jahre alt gewesen.
    Die alte Koll ist zu uns gekommen, sie ist eine Hausiererin gewesen und hat Wäsche verkauft, vor allem Tischwäsche, schöne bestickte Tischdecken oder handgehäkelte Tischläufer. Sie ist ein altes, verhutzeltes Weiblein gewesen und ist mit einem Korb von Haus zu Haus gegangen, zweimal im Jahr, und hat ihre Ware angeboten. Jeder hat ihr etwas abgekauft, das ist einfach üblich gewesen. Jetzt gibt es so etwas nicht mehr und die alte Koll ist auch vor ein paar Jahren gestorben.
    Auf alle Fälle sitzt sie bei uns am Küchentisch und trinkt ihren Kaffee. Der Toni war am Anfang auch noch da, aber er ist dann in den Stall gegangen. Ich schaue die Tischdecken durch und die Kinder sitzen um den Tisch herum, alle vier, die Anna, die Martina, die Manu und der Alexander. Wenn die alte Koll gekommen ist, sind sie immer dabeigesessen, weil sie ihnen Geschichten von früher erzählt hat.
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Da sagt die alte Frau zu mir: Schöne Kinder haben ’S, Frau Winter, wirklich schöne Kinder, die ersten zwei schauen Ihnen gleich und die zwei jüngsten schauen Ihrem Mann ähnlich. Die Anna und die Martina haben gelacht und ich habe die Manu und den Alexander angeschaut, wie sie ihren Kakao um die Wette schlürfen, und habe gedacht, eigentlich hat sie recht, die beiden sehen dem Toni ähnlich.
    Ich habe das dem Toni erzählt und so getan, als würde ich einen Scherz draus machen. Er hat nur gelacht und gesagt: Mein Gott, es gibt eine Menge Dunkelhaarige auf der Welt, die obendrein noch dünn sind, und ich glaube nicht, dass die Alte noch so viel sieht.
    Nach ein paar Tagen habe ich die ganze Geschichte wieder vergessen gehabt. Ich habe genug Arbeit gehabt und außerdem, was hätte es genützt?

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Therapiesitzung im Februar 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
    Ob ich schon einmal verliebt gewesen bin?
    Einmal, aber nur kurz. Im letzten Winter ist mal eine Familie da gewesen aus Niederösterreich, aus der Nähe von Wien, und die älteste Tochter hat Silke geheißen. Sie hat mir so gut gefallen. Ich weiß, es klingt blöd, aber sie hat sich wie eine Fee bewegt, sie ist geschwebt, nicht gegangen. Sie hat Cello gespielt und Ballett getanzt, und in der Stube hat sie uns einmal was vorgespielt und ein Stück vom sterbenden Schwan vorgetanzt. Die Manu hat sich zerkugelt dabei, aber ich habe es

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