Sommerbuch
gehört, dann fliegt der nur unter den anderen und guckt nach, ob er Hosen anhat .«
»Aha«, sagte die Großmutter. »Gut zu wissen. Jetzt bist du dran .«
»Dürfen Engel in die Hölle fliegen ?«
»Bestimmt! Dort könnten ja viele von ihren Freunden und Bekannten sein .«
»Jetzt habe ich dich !« rief Sophia. »Gestern hast du gesagt, daß es keine Hölle gibt .«
Die Großmutter wurde ärgerlich, richtete sich auf und sagte: »Das würde ich heute auch sagen. Aber das ist doch nur Spaß .«
»Es ist kein Spaß. Wenn man über Gott spricht, ist das ernst! Er würde nie so was Dummes erfinden wie eine Hölle .«
»Natürlich, er hat es ja getan .«
»Nein, das hat er nicht .«
»Doch, eine riesengroße Hölle.«
Die Großmutter stand viel zu rasch auf, weil sie zornig war. Die ganze Wiese drehte sich um sie, und sie verlor beinah das Gleichgewicht. Sie wartete einen Augenblick und sagte: »Sophia. Darüber können wir uns wirklich nicht zanken. Das kannst du doch verstehen, daß das Leben schwierig genug ist und man nicht noch bestraft werden muß. Getröstet wird man, das ist doch der Sinn der Sache !«
»Das ist nicht wahr, es ist gar nicht schwierig«, rief Sophia. »Und wozu hast du dann den Teufel? Der wohnt ja in der Hölle .«
Einen Augenblick lang überlegte die Großmutter und wollte sagen, daß es ihn auch nicht gäbe, aber sie wollte nicht garstig sein. Der Traktor machte Radau. Sie ging zurück zur Landstraße und patschte genau in einen großen Kuhfladen. Ihr Enkelkind kam nicht nach.
»Sophia«, rief die Großmutter warnend. »Du kriegst eine Jaffa, wenn wir in den Laden kommen .«
»Jaffa«, wiederholte Sophia verächtlich. »Glaubst du, man kann an Apfelsinen denken, wenn man über Gott und den Teufel spricht ?«
Die Großmutter kratzte mit ihrem Stock den Kuhfladen vom Schuh, so gut sie konnte, danach sagte sie: »Liebes Kind, ich kann beim besten Willen in meinem Alter nicht anfangen, an den Teufel zu glauben. Du kannst glauben, was du willst, aber du mußt lernen, tolerant zu sein .«
»Was heißt denn das ?« fragte das Kind und schmollte.
»Wenn man die Ansichten der anderen respektiert .«
»Und was ist respektieren ?« schrie Sophia und stampfte auf den Boden.
»Andere das glauben lassen, was sie wollen«, rief ihre Großmutter. »Ich lasse dich, zum Teufel verdammt noch mal, an ihn glauben, und du erlaubst mir dann eben, es nicht zu tun .« — »Du hast geflucht«, flüsterte Sophia.
»Das habe ich nicht getan .«
»Doch, du hast »zum Teufel verdammt noch mal« gesagt .«
Sie sahen sich nicht mehr an. Drei Kühe kamen die Landstraße entlang. Sie hatten Hörner, und mit schlenkernden Schwänzen gingen sie, von einem Schwarm Fliegen umgeben, langsam an ihnen vorbei und weiter zum Dorf hin mit schaukelnden Hinterteilen, auf denen die Haut zuckte und sich faltete. Dann waren sie verschwunden. Nun war nur noch Stille.
Schließlich sagte Sophias Großmutter: »Ich kann ein Lied, das du nicht kennst .« Sie wartete eine kleine Weile, und dann sang sie, sehr falsch, denn ihre Stimmbänder lagen überkreuz: » Holladihüh , holladerah , die Kuhkacke ist da, du darfst sie nur nicht schmeißen, sonst muß sie wieder scheißen, holladerühaha !«
»Was hast du gesagt ?« flüsterte Sophia, denn sie glaubte, nicht recht gehört zu haben, aber da sang die Großmutter schon wieder das gleiche, wirklich schlimme Lied.
Sophia sprang über den Grabenrand und ging in Richtung Dorf. »Papa hat noch nie scheißen gesagt«, sagte sie über die Schulter weg. »Wo hast du das gelernt ?«
»Das sag ich nicht«, antwortete die Großmutter.
Sie kamen an die Scheune, gingen an Nybondas Viehstall vorbei, und noch bevor sie den Dorfladen unter den Bäumen erreicht hatten, konnte Sophia das Lied singen und sang ebenso falsch wie ihre Großmutter.
Venedig spielen
An einem Samstag bekam Sophia Post. Es war eine Ansichtskarte aus Venedig, und auf der Adressenseite stand der volle Name von ihr und mit »Fräulein« davor. So ein schönes Bild wie auf der blanken Seite hatte die Familie noch nie gesehen. Eine lange Reihe rosafarbener und vergoldeter Paläste stieg aus dem dunklen Wasser empor, auf dem schmale Gondeln ihre Laternen spiegelten, ein Vollmond leuchtete an einem dunkelblauen Himmel, und die schöne einsame Frau stand auf einer kleinen Brücke mit der Hand über den Augen, und hier und dort, wo es hinpaßte, war das Bild mit echtem Gold bedruckt. Die Karte wurde hinter das Barometer
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