Sommerfalle
ihren Spind. Darin stand ein kleiner, goldener Pokal. Verwundert und irritiert griff sie nach der Trophäe und las die hingekritzelte Beschriftung: Rebecca McPherson, Lauf-Ass. Sie runzelte die Stirn noch stärker und sah um sich. War das ein blöder Scherz? Aber da war niemand, der ihre Reaktion beobachtete. Sie starrte den Pokal an und drehte ihn in ihren Händen herum. Das Schildchen mit dem Namen war über die Originalbeschriftung geklebt worden. Es musste ein alter Pokal sein. Ihr Name war krumm und schief in das Metall gekratzt worden. Immerhin war nichts falsch geschrieben.
Rebecca bekam eine Gänsehaut, als ihr klar wurde, dass während des Wettkampfs jemand ihren Spind aufgebrochen haben musste. Die Zahlenkombination ihres Sportspinds hatte sie niemand verraten. Zornig stellte sie die Trophäe zurück und zog das Schloss vom Spindgriff, an dem es baumelte. Die Hausmeister hatten Schlüssel, um die Zahlenschlösser zu öffnen. Sie entdeckte aber kleine Kratzer rund um das Schlüsselloch, was bewies, dass jemand es tatsächlich geknackt hatte. Jetzt war sie erst recht beunruhigt. Das traute sie keinem der Mädchen zu, und wenn es ein Junge gewesen war, dann hatte er sich auch noch in die Mädchenkabine eingeschlichen.
Nicki Blair schloss ihren Spind neben Becky auf.
»Hey, Nicki, schau mal«, Becky griff nach dem kleinen Pokal. »Jemand hat mir einen Preis verliehen. Ich bin also doch ein Lauf-Ass.«
»Wer denn?«
»Das ist das Komische daran. Er stand in meinem Spind. Jemand muss ihn während des Wettkampfs aufgebrochen haben.«
»Was? Lass mich mal sehen.« Nicki streckte die Hand aus und untersuchte das seltsame Ding. »Jemand ritzt so etwas in einen alten Pokal? Wer macht denn so was? Du hast einen heimlichen Verehrer, Becky. Aber irgendwie gruselig. Woher konnte er wissen, welcher Spind dir gehört?« Sie suchte den Raum mit den Augen ab. »Gibt’s hier etwa versteckte Kameras? Vielleicht irgendwelche Gucklöcher?«
Beide Mädchen suchten die Betonwände ab. An manchen Stellen waren kleine Schäden, aber es gab keine Löcher zum Durchsehen oder für ein Kameraobjektiv. Ein paar andere Mädchen kamen und fragten, was sie da machten. Becky zeigte auch ihnen den Pokal, während Nicki das Gerücht vom Spanner streute. Bald suchten alle Teamkolleginnen die Kabine nach irgendwelchen Spuren oder Hinweisen ab.
»Lasst uns das der Trainerin melden«, schlug eine vor. Die Mannschaft drehte sich wie auf Kommando um und marschierte die drei Stufen, vorbei am Schwarzen Brett, zum Büro der Trainerin hinauf.
»Halt, wartet«, sagte jemand anderes und deutete auf die Tafel. »Unsere Namen und die Spindnummern stehen hier aufgelistet. Jetzt wissen wir zumindest, woher er deinen Schrank kannte.«
Die Mädchen zerstreuten sich wieder, nur Nicki und Becky blieben stehen.
»Meld es trotzdem der Trainerin, Becky. Jungs sollten hier nicht rein können. Die Trainerin sollte die Tür eigentlich abschließen, wenn wir draußen auf dem Sportplatz sind.«
Becky fuhr sich mit den Fingern durch die noch nassen Haare. »Egal, das war doch sowieso unser letzter Wettkampf.« Die mysteriöse Trophäe hatte sie von ihrer Niederlage abgelenkt, doch jetzt war die Enttäuschung wieder da.
»Na schön«, meinte Nicki, »dann heb dir den Pokal gut auf. Vielleicht ist dein Fan ja ein ganz heißer Typ.«
Becky verdrehte die Augen. »Ja, klar, ein gestörter halbkrimineller … heißer Typ, der auf mich steht. Ich hoffe nur, dass er diesen Herbst nicht an der Western Michigan eingeschrieben ist.«
Im Schwesternzimmer redeten alle laut durcheinander: Neuester Klatsch und Tratsch über Patienten und auch über das Privatleben des Personals machten die Runde. Schwester Alicia Andrews hatte gestern frei gehabt und war eigentlich erst für Dienstag wieder eingeteilt. Doch sie übernahm die Abendschicht für eine Kollegin. Schwester Marsha Scott und Schwesternschülerin Lauren Dickson informierten sie über die neuen Patienten.
»Und wer ist auf Zimmer 304?«, fragte Alicia.
»Dasselbe Mädchen«, antwortete Marsha. »Rebecca McPherson. Sie ist bis jetzt noch nicht wieder aufgewacht.«
»Du machst Witze! Das ist wirklich beunruhigend. Ich dachte, sie wäre gleich nach ihrer Einlieferung zu Bewusstsein gekommen. Ich habe gesehen, wie ihr Freund ihr ein Glas Wasser einschenkte. Sie stieß es weg, als hätte sie schon genug.«
»Wann war das?«, wollte Marsha wissen. »Jedes Mal, wenn ich in ihr Zimmer kam, war sie völlig
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