Sommerfalle
auf ihre Hände und Nägel. Schmutzig. Sie nahm ihre Uhr ab und löste den Verband von ihrem Handgelenk. Auf dem Waschbecken stand Flüssigseife, damit wusch sie ihre Hände und Arme bis zum Ellbogen hinauf und schrubbte sich das Gesicht. Erst war das Wasser eiskalt, aber mit der Zeit wurde es wärmer.
Sollte sie das Risiko eingehen und sich duschen? Fühlte sie sich sicher genug, oder wäre sie dann zu verletzbar? Sie trocknete sich die Hände ab und schlich auf Zehenspitzen zum Wohnzimmerfenster zurück. Ein rascher Blick, dann ein längeres Hinausstarren. Immer noch kein Auto in der Einfahrt. Jede Minute, die verging, bedeutete wahrscheinlich, dass ihr Verfolger sich weiter entfernte. Schließlich hatte sie eine falsche Spur gelegt.
Sie würde eine Dusche riskieren, egal ob mit kaltem oder warmem Wasser.
Edward hatte sich trotz der Enge auf dem Fahrersitz einmal komplett umgezogen. Es hatte aufgehört zu regnen. Er wusste, dass es ihm nicht schwerfallen würde, Rebeccas Spuren zu folgen. Das Auto wollte fast nicht anspringen, die so lange offen stehende Tür hatte die Batterie ziemlich geleert. Er nahm sich ganze fünf Minuten, um diese im Leerlauf notdürftig aufzuladen, dann folgte er Rebecca langsam.
Die Reifenspuren des Fahrrads waren nicht zu übersehen. Doch mit einem Mal verlor er sie. Rebecca musste auf dem Gras neben dem Weg weitergefahren sein. War das nicht schlau? Genau das mochte er an Rebecca. Er begann vor sich hin zu träumen, fuhr abwesend weiter. Er war sich sicher, ihre Spur wiederzufinden, weil sie ja nicht ewig im Gras weiterfahren konnte. Irgendwann würde sie auf den dichteren Wald stoßen und auf den Weg zurückmüssen. Er warf einen Blick die zweispurige Zufahrt zu seiner Linken hinauf. Keinerlei Fahrradspuren, weit und breit keine. Mist. Wäre es nicht schön, wenn sie diesen Weg genommen hätte?
Edward fuhr in der Mitte des Weges und blickte abwechselnd geradeaus, nach links und rechts. Aus dem Augenwinkel nahm er seinen eigenen Blick im Rückspiegel wahr. Er fuhr rechts ran, klappte die Sonnenblende herunter und den Spiegel darin auf. Er sah eigentlich gar nicht so schlecht aus. Irgendwie reif. In seiner Iris funkelten kleine goldene Flecken, seine Nase war gerade, die Lippen wirkten voll. Er hatte zwar ein paar Aknenarben, aber dadurch wirkte sein Gesicht nur markanter. Eine Strähne seiner braunen Haare fiel ihm in die Augen, er strich sie zurück. Spiegel faszinierten ihn, zumindest seitdem seine Haut in Ordnung war und er erwachsene Züge bekommen hatte. Früher hatte er wegen seiner Pickel nie in einen geblickt. Eddie war schüchtern und hatte kaum Selbstbewusstsein. Edward arbeitete an seinem Selbstvertrauen und empfand sich selbst als immer normaler. Und Rebeccas würdig. Im Gegensatz zu Eddie war Edward viel männlicher. So fand er es auch gut, dass sein Haar jetzt schon lichter wurde. Vielleicht würde er es komplett abrasieren, sobald Becky und er ihr gemeinsames Leben begannen.
Rebecca. Jetzt war es ihm schon wieder passiert. Er verlor sich in Tagträumen und war nicht bei der Sache.
»Becky, zeig dich, wo auch immer du gerade bist«, sang er leise vor sich hin. Er fuhr wieder los. Langsam beschleunigte er auf zehn Meilen pro Stunde. Bis zum Ende des Weges waren es noch etwa fünf Meilen. Wenn er sie innerhalb der nächsten Meile nicht entdeckte, würde er schneller fahren und dann wieder umkehren.
Die Dusche in der Mädchenkabine war heiß, überall dampfte es. Rebecca war mit sich selbst unzufrieden. Sie hatte den heutigen Lauf verloren. Genau genommen hatte das ganze Leichtathletikteam ihrer Schule eine schwere Niederlage gegenüber seinen Erzrivalen erlitten. Rebecca war im letzten Schuljahr, es ging also ums Ganze – und was für eine Enttäuschung. Die beste Platzierung, die ihr im ganzen Schuljahr gegen die Lincoln High gelungen war, war ein vierter Platz. Zum Glück war sie nicht auf ihre Sportnoten angewiesen, um es aufs College zu schaffen. Ihre Leistungen waren gut, und sie hatte sich bei der Central, Western und Oakland beworben. Alle drei Colleges hatten ihr eine Zusage geschickt. Theoretisch konnte sie zu Hause wohnen bleiben und auf die Oakland University gehen. Das wäre ihrer Mutter am liebsten, während ihr Vater für seine Alma Mater Central Michigan plädiert hatte. Rebecca hatte sich aber für die Western entschieden. In drei Monaten wäre sie frei: keine Ausgehverbote, keine Vorschriften, keinen Ärger mehr.
Sie trocknete sich ab und öffnete
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