Sommerfalle
musste. Er stopfte sie sich in die Hosentasche. Dann setzte er sich aufs Bett und blätterte wieder und wieder die Bilder durch.
Das Unwetter draußen wurde noch heftiger, aber Edward fühlte sich einigermaßen sicher, wie er so mit den Bildern von Becky auf dem Bett saß.
Nachdem Rebecca minutenlang an die Fenster gehämmert, sich gegen die Türen geworfen und daran gerissen hatte, waren alle Scheiben beschlagen. Das Glas hielt unerbittlich stand. Sie wischte mit dem Ärmel des Sweatshirts über die Frontscheibe. Obwohl der Regen weiterhin in Bächen über das Glas lief, konnte sie die Veranda und das gelbe Licht der Lampe erkennen. Ihr keuchender Atem ließ die Scheiben sofort wieder erblinden, und sie versuchte, flacher zu atmen.
Im lauten Selbstgespräch ging sie ihre Optionen durch.
»Er kann jede Sekunde wieder rauskommen. Ich brauche eine Waffe.« Sie riss den Rucksack auf und zog die Pistole heraus, doch dann schob sie sie wieder ganz nach unten in den Rucksack, so sehr erschreckte sie allein der Anblick.
Ihre Finger tasteten nach dem Messer, und sogleich begann sie, es in den Spalt zwischen Fenster und Tür zu schieben, in der Hoffnung, so die Tür zu entriegeln. An manchen Stellen sank das Messer tiefer als an anderen. Rebecca merkte, wie ihr Zorn wuchs, und sie hatte gleichzeitig Sorge, das Messer abzubrechen. Sie würde es später vielleicht noch brauchen, um ihn abzuwehren, überlegte sie. Also legte sie es aufs Armaturenbrett.
»Ich weiß! Mit der Schere wird es funktionieren!« Sie genoss den kurzen Moment der Euphorie und war stolz, weil ihr doch noch eine Möglichkeit zur Flucht eingefallen war.
Die Schere war groß und würde ihren Zweck erfüllen, wenn das, was sie sich ausgedacht hatte, funktionierte. Blind tastete sie unter dem Lenkrad nach irgendwelchen Kabeln. Jeden, den sie fand, zog sie so weit heraus wie möglich und schnitt ihn dann durch. Anschließend prüfte sie, ob sich die Tür nun öffnen ließ.
Das sechste durchschnittene Kabel brachte den gewünschten Erfolg.
Sie öffnete die Tür einen Spalt breit. Nicht einmal die Innenraumbeleuchtung ging an. Erst zog sie das Sweatshirt wieder an, dann steckte sie Messer und Schere in den Rucksack zurück und stieg aus. Die Tür drückte sie bloß flüchtig zu. Sie wollte sie nicht laut zuschlagen, aber auch nicht sichtbar offen stehen lassen, um seinen Argwohn zu wecken, wenn er das nächste Mal hinausspähte.
Auf allen vieren kroch sie hinter das Auto, duckte sich kurz und rannte dann auf den Wald zu. Nachdem sie die erste Kurve der Zufahrt im Wald passiert hatte, kam sie aus der Deckung und benutzte den Weg. Ihre Fußspuren im Matsch füllten sich sofort mit Regenwasser und zerliefen. Der Wolkenbruch verschlang sie in Sekundenschnelle. Kurz blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken, um ein paar Regentropfen mit dem Mund aufzufangen. Ein Blitz erleuchtete den Weg vor ihr, und sie wagte es, auf der Straße weiterzulaufen.
Das Ansehen ihrer Bilder weckte bei Edward zahlreiche Erinnerungen. Er hatte so viel Zeit seines Lebens damit zugebracht, sich zwanghaft mit diesem einen Menschen zu beschäftigen. Und von all ihren Begegnungen war die beim Abschlussball seine liebste und zugleich traurigste.
Eddie hatte ein Papiergeschäft aufgesucht, um ein besonderes Papier für seine romantische Einladung auszusuchen. Er hatte vorgeschrieben, was hineingeprägt werden sollte, und dem Angestellten das Blatt mit so wenig Worten wie möglich über die Theke geschoben. Als sie fertig war, hatte er Papier, Prägung und ein Päckchen Kuverts bezahlt und war nach Hause gegangen, um noch den Umschlag zu gestalten. Aus der Bibliothek hatte er sich ein Buch über Kalligraphie besorgt und war entschlossen, ihrem Namen und ihrer Adresse seine ganz kunstvolle Note zu geben. Nachdem er ihr die Einladung geschickt hatte, bestellte er sich einen Smoking, ihre Blumen und überlegte sogar, eine Limousine zu reservieren, doch die Vorstellung, einen Zeugen oder eine Anstandsaufsicht bei seinem ersten Date mit Becky dabeizuhaben, war unvorstellbar.
Die Einladung ließ die Möglichkeit, ihm abzusagen, gar nicht zu. Es stand nicht darauf, dass sie antworten müsse, und er erwartete das auch nicht. Formuliert war die Einladung in so poetischem Stil, dass Becky, dessen war er sich sicher, ihr nicht widerstehen konnte. Er musste also nur noch zum angegebenen Zeitpunkt erscheinen und sie zum Schauplatz seiner ganz privaten Abschlussfeier fahren.
Mit dem
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