Sommerfalle
angestarrt hatte. Und neben dem der Name Edward J. Burling mehrmals unterstrichen gestanden hatte. Jetzt war es wohl an der Zeit, seinen Vater zu verständigen. Aber Mike entschied sich dagegen. Das hier wurde aufregend.
Er spähte und lauschte angestrengt, versuchte, zwischen dem lauten Gezwitscher der Rotkehlchen und Waldsänger menschliche Geräusche herauszuhören. Schritt für Schritt schlich er voran, und als er auf der Fahrerseite an dem Auto vorbeiging, bemerkte er das heruntergerutschte Laken auf der Rückbank und die herausgerissenen Kabel neben dem Lenkrad.
Vorsichtig näherte er sich dem Haus. Dort waren alle Vorhänge zugezogen. Er ging einmal rundherum, um nach einem Hintereingang zu suchen, dann erst stieg er auf der Vorderseite die Stufen der Veranda hoch. Dabei hielt er sich dicht am Rand, um ein Knarren der Stufen zu vermeiden. Diesen Trick hatte er sich angewöhnt, nachdem er die ersten Male abends zu spät nach Hause gekommen war.
Was würde sein Vater jetzt tun? Er dachte an all die Krimis, die er gesehen hatte, und wünschte, er hätte eine Waffe bei sich. Seine Hand legte sich um den Türknauf, den er langsam drehte. Es war nicht abgeschlossen. Er stieß die Tür schwungvoll auf und sprang mit einem Satz hinein.
»Polizei!«, brüllte er. Und lauschte.
»Eddie! Ich bin’s, Mike. Mike Sylver. Nun komm schon raus!« Er durchsuchte das Häuschen: Badezimmer, Schlafzimmerschrank, unter dem Bett. Nichts. Kein Mensch.Das Bett sah ungemacht aus. Im Bad hingen feuchte Handtücher. Auf der Küchentheke stand eine braune Lebensmitteltüte neben einer leeren Colaflasche. Aber kein Hinweis auf Becky.
Er lehnte sich an die Arbeitsplatte, überdachte die Lage. Neugierig sah er auch noch in den Kühlschrank, dann in die Tüte.
Eine Handtasche lag darin. Er öffnete sie und fand ein Handy, Schlüssel, Geldbörse, Schminksachen. Er kontrollierte das Portemonnaie. Beckys Führerschein hinter dem kleinen Plastikfenster. Sie sah sogar auf diesem Foto hübsch aus. Er hielt sich das Bild dicht vor die Augen. Das Gefühl, das ihn dabei beschlich, behagte ihm gar nicht. Er wollte sie finden. Er wollte sie befreien.
Mike legte den Geldbeutel zurück, schnappte sich die komplette Handtasche. Am Auto blieb er stehen und öffnete die Tür. Schlüssel sah er keinen, sein Verdacht bestätigte sich also nicht. Aber die Innenbeleuchtung ging nicht an und auch die Verriegelungsknöpfe klickten nur nutzlos. Er stieg ein, zog die Tür des Fahrersitzes zu und fingerte an den durchschnittenen Drähten herum.
Er stieg aus dem Wagen und lief die Zufahrt zurück. An deren Ende blieb er stehen, haderte wieder damit, ob er ihr Auto holen und seinen Vater suchen oder besser zu Fuß weitergehen sollte.
Edward konnte es noch immer kaum glauben.
Er hatte an der Badezimmertür gelauscht, als sie duschte, einfach nur die Geräusche ihrer Anwesenheit genossen. Er erlaubte sich nicht, sie sich nackt unter der Dusche vorzustellen. Lieber überlegte er sich, dass sie vielleicht zum Haarewaschen vor der Wanne kniete. Alles, bloß keine Nacktheit. Nachdem sie das Wasser abgestellt hatte, war er schnell davongeschlichen. Jetzt war er sich sicher, dass sie wohlbehalten aus der Wanne gestiegen sein musste. Dass man in der Badewanne ausrutschen konnte, war eine Angst, die ihn genauso verfolgte wie die Sorge um unverschlossene Türen und Fenster. Doch jetzt war es für Becky sicher noch zu früh, alle Rollos und Vorhänge zu schließen, daher setzte er sich ins Wohnzimmer.
Dann war sie aus dem Bad gekommen, in den Frotteebademantel gehüllt, den er nur für sie gekauft hatte. Da konnte er einfach nicht anders. Er wusste nun einmal, dass sie darunter nackt sein musste. Was sollte er bloß heute Nacht tun? Würde er unter einem Dach mit ihr überhaupt schlafen können? Er erkannte, dass es einige Umstände gab, die er bis jetzt außer Acht gelassen hatte. Sie mussten auf jeden Fall heiraten, aber vorher musste sie sich erst einmal an ihn gewöhnen und diesen Josh vergessen. Wie lange das wohl dauern mochte? Sechs Wochen? Oder länger?
Warum hatte sie nur von Josh gesprochen? Und warum konnte Josh nicht einfach verrecken?
»Gute Nachrichten, was deine Röntgenaufnahmen angeht, Joshua. Du hast zwar eine leichte Gehirnerschütterung, aber es gibt keinerlei Verletzungen im Kopf. Wir werden dich zur Beobachtung einen Tag hier behalten.« Der Arzt mit der rauen Stimme sprach mit ihm, während er ihn abschließend untersuchte. Josh erkannte,
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