Sommerferien in Peking
malen.« Aber Ping behauptet: »Na klar! Wenn man Arzt werden möchte oder irgendeinen anderen guten Beruf haben will, muss man in allen Fächern gut sein. Der Durchschnitt aller Noten des Abiturs entscheidet, in welche Uni man später gehen darf.«
Nach eine kleine Pause sagt er mir: »Weißt du, der Trick ist, solange du gute Noten hast, darfst du dir auch Zeit für andere Sachen nehmen. Zum Beispiel: Fußball.«
»Das heißt, du hast immer gute Noten?«, frage ich.
»Na ja, im Moment zumindest läuft es noch ganz gut. Ich gehöre immer zu den drei besten Schülern in der Klasse«, sagt Ping nun etwas nachdenklich.
Ich schaue ihn bewundernd an. Seit der dritten Klasse bekomme ich in der Schule in fast allen Fächern eine Zwei,ganz selten eine Eins oder eine Drei. Papa sagt, die konstante Zwei zeigt Zuverlässigkeit. Aber Mama meint, dass ich schusselig bin und später lieber keine Buchhalterin werden sollte.
»Ist deine Mama Pianistin?«, frage ich neugierig.
»Nee, sie war. Sie unterrichtet jetzt Musik an der Tai-Ping-Grundschule. Früher hat sie mal Konzerte gegeben, aber dann hatte sie einen Autounfall und ihre Finger wurden verletzt.« Ping senkt die Augen.
Ich halte meinen Atem an: »Wie ist es passiert?«
»Ich weiß es nicht genau. Ich war erst vier und keiner möchte mit mir darüber sprechen.«
»Kann sie ... kann sie noch Klavier spielen?«, stammele ich ein bisschen unsicher.
»Sie kann noch spielen, aber sie meint, es wird nie wieder so wie früher.«
Das Thema ist mir irgendwie unangenehm. Ich frage lieber etwas anderes ...
Aber zu meiner Frage nach »Spy Kid« möchte Ping auch nichts sagen. Stattdessen will er etwas von mir wissen: »Kennst du vielleicht jemand aus der deutschen Fußballmannschaft?« Seine Augen leuchten wieder.
»Natürlich nicht!« Ich verdrehe die Augen.
»O.K., man kann doch mal fragen ...« Ping ist etwas verlegen. Tja, und mir fällt nun auf, dass in Pings Zimmer überall Fotos von Fußballmeisterschaften hängen. Wie bei Max!
»Magst du jetzt das Video von dem kleinen Affen sehen?«, schlägt Ping vor – und schon bin ich wieder abgelenkt.
Am nächsten Tag besucht Ping mich bei meinen Großeltern. Lao Lao hat für uns grüne Bohnensuppe mit braunem Zucker gekocht und sie in den Kühlschrank gestellt. Es ist ein typisch chinesisches Gericht – und außerdem sehr gut gegen die Hitze.
»Was hast du?«, fragt Ping, nachdem er zwei Schüsseln Suppe getrunken hat. »Bist du traurig? Hast du Heimweh?« Er hat schon fast eine halbe Stunde lang nur über seinen Lieblingsfußballer Michael Ballack geredet und nun endlich gemerkt, dass ich ihm nicht richtig zugehört habe.
»Nein!«, antworte ich mürrisch und gebe den Schildkröten ein paar Würmer.
»Wirklich? Du machst ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.« Ping lacht. Aber das finde ich überhaupt nicht lustig.
»Ich bin nicht traurig. Es ist nur ... heute ist mein Geburtstag und ich glaube, Lao Lao und Lao Ye haben ihn vergessen.«
Na ja, dass hier Geburtstage nicht so wie in Deutschland gefeiert werden, habe ich ja gewusst. Aber es hat mir nicht mal jemand gratuliert! Wenn ich in Deutschland wäre, hätte Mama meine Freunde eingeladen und eine große Geburtstagsparty veranstaltet. Auf dem großen Tisch im Wintergarten würde eine weißgoldene Tischdecke liegen. Luftballons, Kerzen, Geburtstagstorte, Spaghetti mit Würstchen und witzige Spiele ...
Seit ich in China bin, rufen mich Papa und Mama eigentlich oft an, aber ausgerechnet heute hat das Telefon noch nicht geklingelt. Vielleicht haben sie es auch vergessen?
»Wirklich? Du hast Geburtstag? Warum hast du mir das gestern nicht gesagt? Aber ich gratuliere dir – alles Gute!«, sagt Ping. »Warum sagst du das deiner Lao Lao und deinem Lao Ye denn nicht?«
»Hast du nicht die Nachrichten im Fernsehen gesehen? Ein Bauer in Chengdu hat einen Pandabär gefunden und der Panda ist verletzt. Der Pekinger Zoo hat Lao Ye angerufen und um Rat gefragt. Seitdem ist Lao Ye sehr beschäftigt. Er macht sich Sorgen um den Bären, wälzt ständig Bücher und telefoniert mit anderen Experten. Er hat doch gar keine Zeit für mich.«
»Ach ja? Das ist natürlich auch wichtig.«
Ich muss ihm recht geben. Lao Ye hat früher die Wasserressourcen für Pandas untersucht und ist ein Panda-Experte. Darauf bin ich sehr stolz.
»Kann ich vielleicht etwas für dich tun?«, fragt Ping sehr herzlich.
»Was kannst du schon machen? Vergiss es.« Ich habe heute wirklich keine gute
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