Sommerferien in Peking
Vielleicht kannst du mir auch etwas beibringen, wenn du zurück bist?«
»Na klar, lieber alter Papa«, antworte ich spaßig: »Ich werde dir zeigen, was ich gelernt habe. Es liegt mir doch im Blut.«
Spy Kid
Nach dem Besuch von Meister Zhao frage ich Lao Ye: »Warum macht sich Meister Zhao Sorgen um Ping, Lao Ye?«
»Na ja, das ist nicht so leicht zu erklären«, antwortet Lao Ye ausweichend und wendet sich auch schon wieder einem Buch zu.
Ich habe noch so viele Fragen, aber diesmal will sie mir anscheinend niemand beantworten. Nicht mal Lao Lao. Was haben die Erwachsenen nur? Ich werde es wohl selbst herausfinden müssen, denke ich entschlossen.
Am nächsten Tag klingle ich bei der Wohnung Nr. 605. Nachdem ich eine ganze Weile warten muss, geht die Tür plötzlich auf und ein großer Junge steht vor mir. Sein Gesicht sieht ähnlich aus wie das von Ping, aber er ist sehr dünn und blass. Er schiebt sich die Brille ein bisschen nach oben und schaut mich fragend an.
»Ähm ... ich bin Lisa. Ist Ping zu Hause?«, stammele ich.
»Lisa? Du bist das deutsche Mädchen von Familie Wang?« Er ist jetzt freundlicher: »Komm rein. Ping ist noch im Bad. Kannst du ein bisschen warten?«
»Klar, kein Problem.« Snow White springt plötzlich an mir hoch, stemmt mir ihre Pfoten auf die Brust und hechelt freudig. »Hey, Snow White!« Kichernd beruhige ich sie und gehe dann mit dem Jungen zusammen ins Wohnzimmer.
»Du bist das einzige Mädchen hier, das vor Snow White keine Angst hat.« Er lächelt.
Ich zucke mit den Achseln. »Na ja, da, wo ich wohne, gibt es sehr viele Hunde ...«, versuche ich zu erklären, aber der Junge läuft schon weg.
»Ping, Lisa ist da!«, ruft er laut. »Ich musste schon die Tür für dich aufmachen! Werde endlich fertig!« Er klingt doch ziemlich ärgerlich.
Nun lässt er mich auf dem Sofa sitzen und verschwindet in seinem Zimmer. Seine Zimmertür bleibt einen Spaltbreit offen. Während ich Snow White streichle, kann ich noch seinen Rücken sehen. Auf seinem Tisch liegen riesige Stapel von Büchern. Als ich höre, was er beim Schreiben murmelt, vermute ich, dass er gerade für die Schule lernt.
Das Apartment von Meister Zhao sieht ähnlich aus wie Lao Yes, nur spiegelverkehrt. Ein wunderschöner Flügel steht neben zwei großen Bücherregalen. An der Wand, gleich über dem Klavier, hängt ein Foto von einer Frau in einem schicken Abendkleid, die gerade Klavier spielt. Siesieht elegant aus und ist vollkommen in die Musik vertieft. Das muss Pings Mama sein.
Dann fällt mir die chinesische Malerei an der Wand auf. Ich weiß eigentlich nicht, ob ich es wirklich »chinesische« Malerei nennen soll. Es ist zwar mit Pinsel in chinesischem Stil gemalt, aber die Striche sind sehr kontrastreich gezogen – in kräftigem Rot, Blau, Gelb und Schwarz. Und es sind weder Pflanzen noch Tiere oder Landschaften abgebildet wie sonst meistens in den chinesischen Bildern. Es stellt ... gar nichts dar! Aber gleichzeitig wirkt es so lebendig und frisch, als wären die Striche eben erst gezogen worden und die Farben noch nicht trocken. Das Bild erinnert mich an etwas, was mir sehr bekannt vorkommt. Aber was ist das?
»Hey, Lisa!« Endlich ist Ping fertig. Etwas verlegen führt er mich in sein Zimmer. Es ist mit Möbeln von IKEA eingerichtet und ich hätte glauben können, dass ich in dem Kinderzimmer einer meiner Freunde in Deutschland sitze.
Auf Pings Schreibtisch liegt ein weißes MacBook. Daneben stehen ein paar Bücher, ordentlich aufgereiht. Sonst nichts mehr. Die Bücher in den Regalen sind nach der Größe sortiert. Alles hat seinen Platz. Für das Zimmer von einem Jungen ist es ein bisschen zu ordentlich, finde ich.
»Das Bild in eurem Wohnzimmer – hast du das gemalt?«, frage ich Ping. Seine Haare sind noch immer ganz nass.
»Ich? Nein. Lei hat es gemalt, mein Bruder. Er kann sehr gut malen. Magst du auch abstrakte Kunst?«
Abstrakte Kunst? Nennt man solche Bilder so? Das Bild gefällt mir auf jeden Fall.
»Er ist dein Bruder? Er ist ganz anders als du.«
»Na ja, viele sagen das. Er redet nicht so viel wie ich. Er spielt kein Fußball. Er ist sehr gut in Malen, aber nicht in Mathe. Deswegen muss er jetzt ganz viel lernen. Die Vorprüfung für das Abitur ist schon nächsten Donnerstag. Mama hat gesagt, dass nichts sein Lernen stören darf. Er braucht nicht mal den Abfall wegzubringen!« Ping zieht seine linke Augenbraue hoch.
»Muss er auch gut in Mathe sein? Er kann doch schon so toll
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