Sommerferien in Peking
Laune.
Ping kratzt sich am Kopf. »Eis? Ich lade dich zum Eisessen ein. Was hältst du davon? Der Eiswagen müsste demnächst vorbeikommen.«
Eisessen? Das wäre eine gute Idee an so einem heißen Tag. Außerdem müssten wir gar nicht mal rausgehen: Als wir letztes Mal bei Ping zu Hause die Glocken des Eiswagens gehört haben, hat Ping einfach einen Eimer an einem langen Seil befestigt, Geld und einen Zettel mit unserer Eisbestellung hineingelegt und ihn dann am Fenster zum netten Eisverkäufer hinuntergelassen. Der legte Eis und Wechselgeld rein, und das war’s. Das ist eigentlich ziemlich witzig, aber irgendwie habe ich heute zu überhaupt nichts Lust. Ich schüttle den Kopf.
»Nicht mal Eis essen?« Ping starrt mich an: »Irgendwas muss es doch geben, was ich für dich tun kann. Sag’ es mir einfach und ich mache es.«
»Wirklich?«
»Versprochen!«
»O.K., dann sag mir bitte, warum dein Opa deinen Spitznamen ›Spy Kid‹ nicht mag.« Ich schaue ihn auffordernd an.
»Ach das ... das kannst du noch nicht verstehen ...«
Diese Antwort habe ich schon erwartet. »Ich bin jetzt schon zehn Jahre alt! Alle denken immer noch, dass ich ein Baby bin! Außerdem hast du es mir versprochen!«
Ping seufzt: »Na gut, wenn es dich glücklicher macht ...« Pings Stimme wird ernst: »Erinnerst du dich noch an SARS? Das ist eine Krankheit, die sehr ansteckend und gefährlichist. Sie war in China stark verbreitet und viele hatten Angst vor ihr.«
»Ja, ich weiß, was SARS ist.« Wie sollte ich das vergessen? Meine Schule war damals lange Zeit geschlossen. Auch Papa und Mama haben meistens nur zu Hause gearbeitet. Wir sind kaum rausgegangen – und wenn doch, dann alle nur mit Mundschutz. Viele waren damals krank in Peking.
Ping fährt fort: »Mein Papa war damals der Chefarzt des großen Krankenhauses und er hat einem englischen Journalisten die Anzahl der SARS-Patienten in Peking mitgeteilt.«
Ich warte darauf, dass Ping weitererzählt, aber er schweigt nun. »Na und? Erzähl weiter!«
»Das war’s.«
»Wie, das war’s? Mein Papa wurde auch mal von einem Journalisten interviewt. Und er hat ihm die Anzahl der Maschinen gesagt, die seine Firma von Deutschland nach China exportiert hat. Na und?«, sage ich unbeeindruckt.
Ping seufzt wieder: »Ich habe ja gesagt, dass du es nicht verstehen wirst ... Nun, gut. Manche Leute waren jedenfalls der Meinung, dass Papa mit Ausländern nicht über so etwas Negatives reden sollte, da ausländische Journalisten dann schlecht über China berichten würden. Und wenn die Ausländer ein schlechtes Bild von China bekommen, reisen sie vielleicht nicht mehr hierher und kaufen nicht mehr unsere Waren. Sie meinten, mein Papa hätte sich besserüberlegen sollen, ob er in diesem Fall wirklich die Wahrheit sagen kann.«
»Was für ein Quatsch!«, schüttle ich den Kopf. »Meine Eltern sagen immer, dass man die Wahrheit sagen soll.« Dann habe ich es plötzlich verstanden: »Meinen die anderen, dass dein Papa ein Spion ist?«
Bei diesem Gedanken wird mir ganz schwindlig. Ich bin zutiefst entsetzt und rufe laut: »Das ist doch unfair!!«
Gestern erst habe ich Pings Papa getroffen. Er trägt eine Brille wie Lei und hat mich sehr lieb begrüßt. Er ist dann gleich in Leis Zimmer gegangen und ich habe noch gehört, wie er Lei ermuntert hat: »Weiter so, mein Sohn. Nur noch zehn Punkte mehr! Wenn du bei der nächsten Prüfung zehn Punkte mehr bekommst, dann hast du es schon geschafft!« Spion? Wie können sich die Leute so einen Blödsinn ausdenken?
Ich bin sehr wütend, doch Ping bleibt ganz ruhig und sagt: »Ich glaube nicht, dass alle so denken. Viele Onkel und Tanten im Compound haben zu mir gesagt, dass mein Papa ein guter Mann ist. Er hat nichts falsch gemacht. Mein Papa hat mir gesagt, dass wir den anderen mehr Zeit lassen sollen. Sie werden später auch verstehen, dass es das Beste ist, die Wahrheit zu sagen.«
Bevor ich und Ping weiterreden können, stürmt Lao Ye plötzlich aus dem Arbeitszimmer heraus und ruft aufgeregt: »Der Panda ist jetzt angekommen! Ich muss in den Zoo. Lisa und Ping, möchtet ihr mitkommen?«
»Jaaah!« Ping und ich springen gleichzeitig auf.
Vor dem Gebäude wartet schon ein BMW, ausgestattet mit Rotlicht und Alarmsirene – wie ein chinesischer Polizeiwagen. Als das Auto über die zehnspurige Chang’an Straße saust, flüstert Ping in mein Ohr: »Geil! So schnell bin ich in Peking noch nie gefahren! Wenn ich meinen Geburtstag so verbringen könnte,
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