Sommerferien in Peking
kleiner Freund?«
Ich schaue Hilfe suchend zu der Eisdiele. Doch Onkel Peter ist nicht zu sehen. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter. Der böse Kerl hat bestimmt gemerkt, dass ich allein bin. Er reißt die Augen auf und fletscht die Zähne. »Ich muss deinetwegen jeden Tag in diesen Park kommen. In dem anderen Park kann ich keine Geschäfte mehr machen. Was sagst du dazu?«, droht er und streckt schon die rechte Hand aus, um mich am Arm zu packen.
Instinktiv mache ich einen Schritt nach links und drehe mich dabei, sodass ich nun hinter seinem Rücken stehe. Der Kerl ruft laut: »Ai Ya?«, und schaut erstaunt dorthin, wo ich eben noch stand. Er ist total verblüfft darüber, dass ich nicht mehr zu sehen bin und seine Hand ins Leere gegriffen hat.
In diesem Augenblick staune ich über mich selbst: Ich habe gerade »Feuer Phönix trifft den Drachen« ausgeführt, wenn auch ohne die Handbewegung, die ich in der Eile vergessen habe.
Ich bin vor Freude fast außer mir. Der Kerl hat es nicht geschafft, mich zu schnappen. Er ist viel zu langsam.
Während ich einen Schritt zurückweiche, hat der Kerl sich zu mir umgedreht. »Du kleiner Wurm!«, knurrt er wütend und stürzt sich auf mich. Ich weiche ihm genau wie vorher blitzschnell aus. Als sein Körper an mir vorbei wieder ins Leere läuft, gebe ich ihm noch einen kleinen Schubs. Ich brauche kaum Kraft dazu, denn die meiste Kraft kommt von ihm selbst. Er stolpert ein paar Schritte nach vorn und schreit zum zweiten Mal »Ai Ya!«. Der Bösewicht wirkt jetzt auf mich nur noch wie ein langsamer tapsiger Bär.
Jede Bewegung in der Taiji-Form ist eine Selbstverteidigungstechnik – das hat mir Meister Zhao erzählt und jetzt habe ich es begriffen!
Als der böse Kerl endlich sein Gleichgewicht wiedergefunden hat, merkt auch er, dass es kein Zufall war, dass ich ihm zweimal ausweichen konnte. Er starrt mich an, als ob er mich am liebsten erwürgen wollte, bleibt jedoch stehen.
Ich grinse ihm ins Gesicht, so breit wie ich kann, und sage ganz ruhig: »Wir haben überall nach dir gesucht und hier versteckst du dich also? Mein Mitschüler möchte dir gerne zeigen, was er Neues von unserem Shi Fu gelernt hat.«
Er macht sofort einen Schritt zurück und stottert perplex: »Dein Mitschüler ist hier? Und wer ist euer Meister?«
Er schaut sich misstrauisch um. Ich sehe jetzt aus den Augenwinkeln, dass Onkel Peter mit zwei Eis auf uns zuläuft.
»Meister Zhao Tianlong ist unser Meister. Mein älterer Mitschüler ist leider nicht hier, aber du kannst gerne unseren ältesten Mitschüler aus England kennenlernen. Er ist der Beste von uns.«
Ich winke stürmisch zu Onkel Peter hinüber.
»Oh, ihr seid Schüler von Meister Zhao!«, stottert der böse Kerl völlig entgeistert. Offenbar kennt er diesen Namen und Schweiß perlt schon von seiner Stirn.
Als er sieht, dass Onkel Peter mir zuwinkt, wird er so blass wie ein weißes Blatt Papier. Er macht sich diesmal noch schneller aus dem Staub als letztes Mal – und vergisst dabei sogar Eimer und Pinsel.
»Wer war das?«, fragt Onkel Peter verblüfft und schaut, wie der Kerl schnell davonspringt.
»Danke, ältester Mitschüler, dass du mich gerettet hast.« Ich könnte mich totlachen.
Onkel Peter versteht nur noch Bahnhof und ich erzähle ihm die ganze Geschichte.
»Das ist wirklich mutig von dir. Hast du gar keine Angst gehabt?«, fragt er begeistert.
»Zuerst schon«, gebe ich ehrlich zu. Dann sage ich etwas verärgert: »›Feuer Phönix trifft den Drachen‹ habe ich schon hundert Mal mit Meister Zhao geübt, aber trotzdem habe ich am Anfang die Handbewegung vergessen.«
Onkel Peter legt den Kopf schräg und schaut mich grinsend an.
»Übung macht den Meister. Denk doch mal daran, dass du erst seit zwei Wochen Taiji übst. Ich finde es super, dass du nach so einer kurzen Zeit schon die Technik anwendenkannst. Außerdem bist du viel jünger und kleiner als dieser Mann.« Dann legt er mir seinen Arm um die Schultern und sagt stolz: »Du bist echt meine Lieblingspatentochter!«
»Aber du hast doch nur eine Patentochter, mich, oder?«, frage ich skeptisch.
»Ach, das habe ich vergessen ...« Onkel Peter kratzt sich verlegen hinterm Ohr.
»Macht nichts. Du bist auch mein Lieblingspatenonkel. Mein einziger«, kichere ich.
Auf dem Weg nach Hause klingelt plötzlich Onkel Peters Handy. Er wird beim Telefonieren ganz unruhig und blickt zweimal auf die Uhr. Danach sagt er nervös zu mir: »Ich glaube, das Baby will ein
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