Sommerferien in Peking
Stier,
Du bist verrückt
Und trinkst nur Bier.«
Ricky lachte aus vollem Halse, als wir es zusammen gesungen haben. Vielleicht sollte ich doch lieber Songwriter werden?
»Wann kommst du zurück, Lisa?«, fragte Ricky mich nach dem Singen. »Ich habe im Asienladen zwei Lollis bekommen und hebe einen für dich auf.« Ricky geht sehr gern mit Mama im Asienladen einkaufen. Die vietnamesische Verkäuferin schenkt ihm jedes Mal einen Lolli, wenn Mama bei ihr Tofu und Glasnudeln kauft. Er hat diesmal bestimmt nach einem extra Lolli für mich gefragt.
Jetzt ist Mi Mi nach Hause gekommen. Sie hat uns noch singen gehört und will sofort wissen, was das für ein Lied ist. Ich sage ihr, dass ich und Ricky es uns nur so ausgedacht haben und es keinen Sinn ergibt. Auf Deutsch kann sie ja sowieso nicht singen.
Dann will sie unbedingt wissen, wie ich meinen Schmetterlingsdrachen gebastelt habe.
»Kannst du mir mal zeigen, wie das geht? Bitte!«, fleht sie mich an.
Meine gute Laune ist wie weggewischt. Ich musste ihr letztes Wochenende schon Tiger Lily ausleihen, damit sie mittags schläft, nur weil sie noch klein ist und weil sie ihre Seidenraupen mit mir geteilt hat. Selbst Ricky weiß, dass Tiger Lily nicht auszuleihen ist.
Ich sage Mi Mi so geduldig wie ich nur kann: »Das Basteln von Schmetterlingsdrachen ist ein Geheimnis und ein Geheimnis darf man nicht verraten.«
Oje, jetzt rollt eine große Träne Mi Mis Wange hinunter, gefolgt von einer zweiten. Sie fängt tatsächlich an zu heulen. Es ist wirklich nicht meine Schuld, dass wir dann streiten. Ich kann doch mein Geheimnis nicht verraten.
»Verwöhntes Einzelkind ...«, murmele ich betrübt. Wer denkt, dass 20 Barbies viel sind, der sollte sich mal Tante Bins Haus in der Vorstadt anschauen. Da hat Mi Mi ihr Kinderzimmer voll mit unzähligen Spielsachen. Es ist wirklich dumm, dass Mi Mi so ein großes Theater daraus macht.
Aber Mi Mi weint und weint, sodass Lao Ye zum Schlussein unwiderstehliches Angebot macht: »Kommt, lasst uns Pekingente essen gehen.« Sofort nickt Mi Mi. Pekingente ist nicht nur Mi Mis Lieblingsessen, sondern auch das von uns allen. Allein wenn ich den Namen höre, läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen.
Lao Ye sagt nie wie andere Erwachsene, dass ich irgendetwas machen muss, nur weil Mi Mi jünger als ich ist. Stattdessen sagt er noch zu mir: »Ruf mal Ping an! Wenn er möchte, kann er mitkommen.« Dafür liebe ich meinen Lao Ye. Er ist einfach super!
Leider scheint bei Ping niemand zu Hause zu sein. »Pech gehabt, Ping«, murmele ich enttäuscht, nachdem es lange geklingelt hat: »So verpasst du die Pekingente.«
Das Restaurant, in das wir gehen, ist fast 150 Jahre alt, sagt Lao Ye. Und bevor das Restaurant eröffnet wurde, gab es schon viele andere Pekingenten-Restaurants. Es begann wohl in der Yuan-Dynastie. Das ist etwa 600 Jahre her. Damals haben die Chinesen ihre Enten wie in Deutschland in einem geschlossenen Steinofen gebacken. Später haben sie sich eine verbesserte Zubereitung ausgedacht. Die Enten werden am Hals aufgehängt und in der Mitte des Ofens lodert zusätzlich ein offenes Feuer. Damit werden die Pekingenten gleichzeitig gegrillt und gebacken.
Ich schaue begeistert in den Ofen hinein: Etwa 20 Enten hängen fein säuberlich aufgereiht nebeneinander. Bei manchen ist die Haut schon knusprig und goldbraun.
»Aha, jetzt weiß ich, warum die Pekingente in Deutschland so anders schmeckt als in Peking«, sage ich. Lao Ye sagt: »Das ist aber noch nicht alles.« Bevor er mir noch etwas erklären kann, kommt eine junge Kellnerin in einem roten, mit Goldfäden durchwirkten chinesischen Seidenkleid und geleitet uns an den Tisch. Es sind mindestens 500 Gäste im Restaurant und darunter auch viele Ausländer.
Alle von Lao Ye bestellten Speisen werden aus Ente gemacht und das finde ich lustig. In Deutschland isst man meist nur das Fleisch und schmeißt den Rest weg, aber die Chinesen können auch aus den anderen Teilen der Ente, zum Beispiel aus Leber, Zunge, Magen, Blut und Herz, leckere Speisen zubereiten. Wie immer ist dabei die letzte Speise eine köstliche Suppe aus den Knochen der Ente.
Das Beste ist und bleibt aber die Pekingente selbst! Bald kommt ein Koch mit einem rollenden Tablettwagen auf uns zu. Darauf liegt eine fertig gebackene Pekingente und der Koch beginnt, diese vor unseren Augen in Scheiben zu schneiden. Ich zähle neben ihm ganz genau mit: 108 Scheiben hat er geschnitten! Und jede der hauchdünnen Scheiben
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