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Sommerferien in Peking

Sommerferien in Peking

Titel: Sommerferien in Peking Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leela Wang
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Taiji-Training hat Ping kaum ein Wort mit mir geredet.
    Den Rest des Tages verbringe ich einfach im Wintergarten, liege auf dem Bambusbett und lese »Harry Potter«, den ich von Deutschland mitgebracht habe. Ich habe bis jetzt gar keine Zeit gehabt, auch nur eine Seite davon zu lesen.
    Als mir die Augen langsam wehtun, lege ich das Buch beiseite. Die Sonne versteckt sich gerade irgendwo hinter den dicken Wolken. Es wird bald regnen, denke ich.
    »Nach dem Regen wird es viel kühler und angenehmer sein. Morgen ist laut Mondkalender schon Herbstanfang«, sagt Lao Ye. Er steht an der Tür und fügt noch hinzu: »Ich gehe kurz mal zu Meister Zhao, bin aber zum Abendessen wieder hier.«
    Warum geht er wieder zu Meister Zhao?, denke ich verwundert.
    Von hier oben kann ich ganz viele Menschen sehen. Sie wirken alle so klein. Warum sind sie so beschäftigt? Wird es überhaupt jemand bemerken, wenn ich nicht mehr in Peking bin? In drei Tagen muss ich schon zurück nach Deutschland ...
    Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Bambusbett gelegen habe, aber plötzlich höre ich Lao Lao rufen: »Abendessen ist fertig und Lao Ye ist wieder da. Kommst du auch zu Tisch, Lisa?«
    »Ich bin noch nicht hungrig«, antworte ich lustlos.
    »Bist du krank?« Lao Lao setzt sich neben mich und fühlt mit ihrer Hand nach meiner Stirn. »Zu viel Feuer hast du nicht. Dann wird die Suppe von Lotussamen und weißen Pilzen auch nicht helfen.« Lao Lao denkt nach und behauptet schließlich: »Du hast zu viel Wasser in deinem Körper.«
    Zu viel Wasser? So etwas habe ich noch nie gehört.
    »Also, da hilft nur ...«, Lao Lao spannt mich auf die Folter: »... eine Abschiedsparty!«
    »Eine Abschiedsparty?« Ich setze mich gleich auf und starre Lao Lao an.
    »Ja, Party-Girl! Eine Abschiedsparty! Und du darfst alle deine Freunde einladen«, sagt Lao Lao lachend.
    Super! Ping kann doch nicht wirklich sauer auf mich sein. Wenn ich ihn zu meiner Party einlade, wird bestimmt alles wieder O.K. Ich mache gleich eine Gästeliste im Kopf.
    »Darf ich auch Pings Papa einladen?«, frage ich erwartungsvoll.
    »Natürlich. Aber du kennst ihn doch kaum«, dringt jetzt Lao Yes Stimme aus dem Wohnzimmer.
    »Na und? Ich weiß, dass er die Wahrheit sagt«, rutscht es mir heraus.
    »Wie kommst du darauf?« Lao Lao ist erstaunt.
    »Ping hat es mir gesagt. Onkel Zhao ist doch kein Spy, oder?«, antworte ich nun ehrlich.
    Lao Ye sagt besorgt: »Natürlich ist er keiner. Aber man muss es nicht überall erzählen. Sei vorsichtig ...«
    »Warum solche Angst?«, unterbricht ihn Tante Bin, die schon mit Mi Mi am Tisch sitzt, plötzlich bockig: »Es ist nicht mehr wie in der alten Zeit. Wir alle wissen doch, was passiert ist. Spy?« Sie rümpft die Nase: »Doktor Zhao kann jederzeit in die USA gehen und dort arbeiten, aber er möchte es nicht. Er hat noch viele Patienten hier, die ihn brauchen. Du weißt doch auch, dass er ein sehr guter Arzt ist, Papa.«
    Einen Moment lang herrscht unangenehmes Schweigen. Draußen wühlt jetzt starker Regen in den Bäumen und klatscht laut gegen die Fensterscheiben. Ich sehe fast waagrechte Regenspuren an den Fenstern. Wie kann Tante Bin so etwas zu Lao Ye sagen? Lao Ye hat doch nie Angst vor etwas, denke ich. Nicht mal vor den bösen Wölfen, die er im Wald getroffen hat. Ich gucke verstohlen zu Lao Ye hinüber. Seine Stirn ist in sorgenvolle Falten gelegt und er sieht plötzlich zehn Jahre älter aus.
    »Denk mal an deinen Lao Ye, der während dieser schrecklichen Zeit der Kulturrevolution ins Gefängnis gesteckt wurde«, ermahnt Lao Ye Tante Bin.
    Ich glaube, er meint meinen Uropa, der während des zweiten Weltkriegs als Arzt eines Generals für die Guomindang, die damalige Regierungspartei Chinas gearbeitet hat. Er hat geglaubt, dass sie am besten gegen die japanischen Aggressoren kämpfen würden. In dem Bürgerkrieg, der dem zweiten Weltkrieg folgte, verlor jedoch die Guomindang gegen die Kommunisten. Obwohl mein Uropa später Direktor eines Krankenhauses wurde, holte ihn in der Kulturrevolution seine Vergangenheit in der Guomindang ein, und er wurde dafür bestraft und für viele Jahre eingesperrt.
    »Die Kulturrevolution ist doch schon lange vorbei!«, sagt Tante Bin, ohne Lao Ye anzusehen. »Und auch damals hat Lao Lao den Mut gehabt, bei Opa zu bleiben, obwohl sie aufgefordert wurde, sich von ihm zu trennen. Ihr habt immer gesagt, ohne Lao Lao hätte Opa diese Schande nicht überstehen können.«
    Lao Ye schweigt. Ganz leicht nur nickt

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